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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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keine Antwort; Marcel fing an, mir auf die Nerven zu gehen. Ich hielt Ausschau nach Gleis 18, von dem der Zug nach Istanbul abfahren sollte, und fand es am Rand des Bahnhofs, schon außerhalb der Haupthalle.
    »Ich muß dir noch die Schlüssel geben«, sagte ich zu Marcel. »Tu mir den Gefallen und bring den Wagen zurück.«
    »Kein Problem. Auf die Weise kann ich Yeta Sofia by night zeigen!«
    Der Bahnsteig am Gleis 18 war überraschenderweise nahezu menschenleer. Mein Zug war noch nicht da, aber wir hatten ja noch mehr als eine Stunde Zeit. Auf den Nebengleisen standen alte Züge und versperrten uns jegliche Aussicht. Doch rechts von uns bemerkte ich hinter den staubigen Waggons zwei Männer, sie gingen in dieselbe Richtung wie wir, hatten aber kein Gepäck dabei. Marcel sagte: »Wir werden uns sicher im Oktober in Paris treffen, wenn ich nach Frankreich komme.« Dann wandte er sich an eine Romni, die allein mit ihrem Kind dort wartete. Ich stellte meine Tasche ab. Djurics Worte gingen mir durch den Kopf, und ich wünschte mir nur eins - mich in den Zug zu setzen, allein zu sein, um über alles nachdenken zu können, was ich in Erfahrung gebracht hatte. Jenseits der verschlafenen Waggons fielen mir wieder die beiden Männer auf. Der größere trug einen dunkelblauen Trainingsanzug aus Acrylfaser, seine gesträubten, borstigen Haare wirkten wie Glasscherben. Der andere war ein Schrank von einem Kerl, gedrungen und stämmig, das Gesicht eine starre, aschfahle Maske mit einem drei Tage alten Bart. Zwei üble Burschen, wie sie sich in allen Bahnhöfen herumtreiben. Marcel sprach noch immer mit der Romni. Schließlich drehte er sich zu mir um und erklärte: »Sie würde gern mit dir im selben Abteil reisen, weil sie zum erstenmal mit dem Zug fährt. Nach Istanbul, zu ihrer Familie .«
    Ich musterte die beiden Männer, die kaum fünfzig Meter entfernt, uns genau gegenüber, zwischen zwei Waggons standen. Der Schrank hatte sich abgewandt, er schien etwas in der Innentasche seines Regenmantels zu suchen; auf seinem Rücken hatte sich ein langer dunkler Schweißfleck gebildet. Der Lange hingegen starrte uns aus fiebrigen Augen an. Marcel sagte noch in scherzhaftem Ton: »Aber paß ja auf - faß sie nicht an, bevor ihr in der Türkei seid! Du kennst die Roma!« In dem Moment drehte der Schrank sich langsam um. Ich sagte: »Gehen wir weg von hier«, und bückte mich nach meiner Tasche. Meine Hand umfaßte den Schulterriemen, als eine dumpfe Detonation erfolgte. Eine Sekunde später lag ich auf dem Boden und verrenkte mir den Hals, um Marcel zu warnen; ich brüllte, aber es war zu spät: die Kugel hatte ihm den Schädel zertrümmert.
    Im selben Moment hörte ich ein zweites >Plopp< und sah eine Woge von Blut aufspritzen. Der schrille Schrei von Yeta gellte auf, gefolgt von einem, zwei, drei, vier weiteren gedämpften Schüssen. Ich sah, wie Yeta in die Luft geschleudert wurde und ein schmales, granatrotes Lichtbündel in alle Richtungen zuckte. Ich dachte: >Laserzielgerät< und kroch bäuchlings durch die Blutlachen auf dem Asphalt. Ich warf einen Blick nach rechts und sah die Romni über ihrem Kind zusammengesunken, die Hände dunkel vom Blut. Links von mir, hinter dem Zug auf dem anderen Gleis, duckten sich die Killer, um mich zwischen den Stahlrädern des Waggons zu erspähen - der Mann mit dem Regenmantel hielt ein Sturmgewehr mit Schalldämpfer in der Hand. Ich ließ mich auf das Gleis auf der entgegengesetzten Seite hinabfallen und stolperte fast über Yetas Leiche - zwischen den Falten ihrer blutigen Jacke quoll rosafarben und dunkelrot das Gedärm hervor. Ich rannte los.
    Ich lief gekrümmt, stieß mir die Knöchel an den Schwellen, aber ich erreichte das Ende des Bahnsteigs, immer noch im Schutz des Gleisgrabens. Ich sah mich in der Halle um: ringsum eine Masse gleichgültiger Menschen. Es war 21 Uhr 55. Nachdem ich den Umstehenden forschend ins Gesicht geblickt hatte, stand ich auf und drängte mich unter Zuhilfenahme der Ellenbogen durch die Menge, meine blutige Tasche an mich gepreßt. Endlich erreichte ich den Ausgang. Von den Killern keine Spur.
    Ich rannte zum Parkplatz und ließ mich in den Wagen fallen - glücklicherweise hatte ich noch die Schlüssel. Ich brauste davon, schlingernd und rutschend auf dem nassen Asphalt; wohin, wußte ich nicht, aber ich fuhr wie ein Verrückter mit durchgedrücktem Gaspedal. In meinem Hirn explodierten die Bilder von Marcels Gesicht, in blutige Fetzen zerborsten, Yetas

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