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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ich die Halle, bis ich am anderen Ende auf eine Metalltür stieß, die mit schweren Ketten versiegelt war. Ich saß fest; allerdings dachte ich, daß mich hier wohl keiner suchen würde, und so beschloß ich, den Morgen abzuwarten. Hinter dem letzten Pfeiler fegte ich die Scherben beiseite und ließ mich nieder. Mein Körper fühlte sich völlig zerschlagen an, aber ich verspürte keine Angst mehr. So verharrte ich, an den Pfeiler gekauert, und war bald eingeschlafen.
    Das Knirschen von Glas weckte mich. Ich schlug die Augen auf und sah auf die Uhr: drei Viertel drei. Die Schweine hatten mehr als vier Stunden gebraucht, um mich zu finden. Ich hörte hinter mir ihre Schritte, das Malmen von Glas unter den Sohlen. Wahrscheinlich hatten sie meinen Wagen entdeckt und jetzt meine Fährte aufgenommen - wie zwei lauernde Raubtiere. In der Ferne klangen ein paar Flügelschläge, und über mir, in großer Höhe, trommelte der Regen, der wieder eingesetzt hatte, auf das Dach. Ich spähte hinter meinem Pfeiler hervor, sah aber nichts. Die beiden Killer benutzten keine Taschenlampe oder sonst eine Lichtquelle - nur ihre Nachtsichtgeräte. Plötzlich überlief mich ein Schauer: solche Apparate sind meist mit einem Thermodetektor ausgestattet, der die Infrarotausstrahlung jedes Gegenstands wahrnimmt. Wenn das der Fall war, würde ihnen die Wärme meines Körpers einen schönen roten Schatten hinter dem Pfeiler anzeigen. Die Tür vor mir war verriegelt, der zweite Ausgang durch die Killer blockiert.
    In regelmäßigem Rhythmus kam das Knirschen näher.
    Zuerst ein paar Schritte, dann eine Pause von zehn bis fünfzehn Sekunden, dann wieder ein paar Schritte. Meine Verfolger rückten gemeinsam vor, Pfeiler um Pfeiler. Sie ahnten offensichtlich nichts von meiner Gegenwart, denn sie gingen zwar leise, aber ohne besondere Vorsicht. Hinter der letzten Säule würden sie mich unausweichlich finden. Wie viele Pfeiler lagen noch zwischen uns? Zehn? Zwölf? Die Killer kamen links von der Säulenreihe auf mich zu. Ich wischte mir den Schweiß ab, der mir in die Augen rann und mir die Sicht nahm. Langsam streifte ich die Schuhe ab und hängte sie mir an den Schnürsenkeln um den Hals. Noch langsamer zog ich mein Hemd aus, zerriß es mit den Zähnen, Zentimeter für Zentimeter, und umwickelte mir die Füße mit den Lappen. Die Schritte kamen näher.
    Der Angstschweiß lief mir über den nackten Oberkörper.
    Gehetzt äugte ich hinter den Pfeiler, dann sprang ich mit einem Satz nach rechts hinter die nächste Säule. Ich hatte nur einmal den Fuß auf den Boden gesetzt und die Glasscherben mit meinen Baumwollsocken aufgefangen. Kein Laut, kein Atmen. Auf der anderen Seite der Säulenreihe hörte ich wieder das Knirschen von Glas unter Tritten. Sofort glitt ich weiter zum nächsten Pfeiler. Noch fünf oder sechs Pfeiler lagen zwischen uns. Wieder hörte ich sie gehen. Wieder stürzte ich einen Pfeiler vorwärts. Mein Plan war einfach. Wenige Sekunden später würden die Killer und ich rechts und links desselben Pfeilers stehen. Dann mußte ich nach rechts wechseln, während sie auf die linke Seite kamen. Es war ein verrücktes, geradezu kindisches Vorhaben. Aber es war meine letzte Chance. Vorsichtig bückte ich mich und hob mit zwei Fingern einen Klumpen Mörtel auf, in dem eine Glasscherbe steckte. Nacheinander brachte ich drei weitere Pfeiler hinter mich. Ein Atmen ließ mich zu Stein erstarren. Dort waren sie, auf der anderen Seite. Ich zählte bis zehn, und als das Knirschen wieder einsetzte, glitt ich hinüber nach rechts, eng an den Pfeiler gedrückt.
    Vor Verblüffung blieb mir fast das Herz stehen. Direkt vor mir stand der Lange im Trainingsanzug, in seiner Hand eine metallisch funkelnde Waffe. Er brauchte eine Zehntelsekunde, um zu begreifen, was geschah. In der nächsten Zehntelsekunde hatte er die Glasscherbe in der Kehle. Ein Blutstrahl schoß hervor und spritzte über meine verkrampften Finger. Ich ließ den Mörtelklumpen los, breitete die Arme aus und fing den Körper auf, der schwer vornüber sackte. Ich ging in die Knie und hievte mir den Koloß auf die Schulter; das abscheuliche Manöver wurde mir erleichtert durch das Blut, das in Strömen floß wie ein Schmiermittel. Ich kniete nieder, beide Hände auf dem Boden. Meine verbrannten und empfindungslosen Handflächen stützten sich ohne den geringsten Schmerz auf die Glasscherben - es war das erste Mal, daß mein Gebrechen mir zugute kam, ja mir das Leben rettete. Aus dem

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