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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Körper, der auf die Gleise hinabstürzte, die Romni, die ihr Kind zu schützen versuchte. Rot, überall nichts als Rot.
    Knapp fünf Minuten war ich unterwegs, als ich spürte, wie sich mir im Nacken die Haare sträubten. Im Rückspiegel sah ich einen Wagen, der sich an meine Fersen geheftet hatte und sich nicht abhängen ließ, eine dunkle, viertürige Limousine. Ich beschleunigte, bog nach links ab, dann nach rechts. Die Limousine war immer noch hinter mir; ohne Licht folgte sie mir in atemberaubendem Tempo. Einmal, als ich zurückblickte, sah ich das Wageninnere flüchtig durch eine Laterne erhellt und erkannte die Killer. Der Lange saß am Steuer, neben ihm der Schrank, der sich nicht die Mühe machte, seine Waffe zu verbergen - ein großkalibriges Gewehr mit kurzem Lauf. Sie trugen Nachtsichtgeräte, festgeschraubt auf dem Schädel.
    Ich bog nach links in eine lange, schnurgerade und kaum befahrene Durchgangsstraße ab und drückte aufs Gas. Die Limousine folgte mir. Ans Steuer geklammert, versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Meinen geringen Vorsprung konnte ich bald nicht mehr halten. Außerdem nutzten die Killer die gerade Strecke aus, um mich seitlich in die Enge zu treiben, Kotflügel an Kotflügel. Die Karosserien stießen aneinander und gerieten ins Schleudern mit quietschenden Reifen. Ich schlug einen Haken nach rechts, so jäh, daß der Limousine nichts anderes übrigblieb, als geradeaus weiterzufahren. Ich trieb den Wagen zur Höchstgeschwindigkeit an. Die Natriumdampflampen am Straßenrand bebten im Sturm. Plötzlich geriet ich auf einen Bahnübergang, der Wagen machte einen Satz, und das Fahrgestell prallte mit einem metallischen Knall auf den Asphalt. Die zuvor zweispurige Straße hatte sich auf eine Fahrbahn verengt.
    Im Licht der Scheinwerfer erkannte ich, daß sich vor mir die Straße erneut gabelte; ich entschied mich für die rechte Abzweigung, was ich sofort bedauerte: in der Ferne sah ich quer zur Straße die schwarze Masse der Limousine stehen, die mir den Weg versperrte, und gleich darauf hörte ich die ersten Kugeln über das Verdeck hinwegpfeifen. Bei der ersten Querstraße bog ich nach links ab und sah im letzten Moment, wie die Limousine sich wieder in Bewegung setzte; dann stürzte ich mich die abschüssige Straße vor mir hinab. Ich raste dahin, verlor aber an Geschwindigkeit, je tiefer ich in das Gewirr holpriger Straßen, schwarzer Gebäude und abgestellter Züge geriet. Diesmal war ich auf ein Lagergelände geraten, das stockfinster und menschenleer war. Ich schaltete die Scheinwerfer aus, bog von der Fahrbahn ab und fuhr über die Böschung quer durchs Terrain, schlüpfte zwischen zwei Waggons hindurch, rumpelnd und schlitternd, bis ich endlich an einem Bahngleis zum Stehen kam. Ich stieg aus. Der Regen hatte aufgehört. Etwa dreihundert Meter vor mir ragte eine verlassene Lagerhalle in die Dunkelheit. Mit leisen Schritten schlich ich auf das Gebäude zu.
    Im Näherkommen sah ich leere Fensterhöhlen, klaffende Mauern, ausgerissene Kabelschlingen, überall Bauschutt - seit Jahren hatte dieser Ort keinen Menschen mehr gesehen. Ich betrat einen Zementboden, der von Federn und Kot übersät war, und ein vielstimmiges Gurren drang von allen Seiten auf mich ein: Tausende von Tauben hatten sich hier niedergelassen. Ich wagte mich ein paar Schritte vorwärts, und sogleich brach die Nacht über mich herein - eine Myriade von Leibern stob auf, flügelflatternd und mit ohrenbetäubendem Kreischen. Federn wirbelten durch die Luft, und zugleich breitete ein beißender Gestank sich aus. Ich schob mich seitwärts in einen Gang. In der feuchten Luft waberten Schwaden von Petroleum- und Schmierölgeruch. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Finsternis. Rechter Hand blickte ich in eine Flucht von Büroräumen mit zerborstenen Fensterscheiben, die Fußböden voller Glasscherben. Ich ging den Gang entlang, wobei ich über zerbrochene Stühle, umgestürzte Schränke, zersplitterte Telefone stieg, bis ich zu einer Treppe kam.
    Über weißlichen Vogelkot stieg ich die Stufen hinauf - es kam mir vor, als dränge ich in die Kloake einer monströsen Taube ein. Im ersten Stockwerk angelangt, stand ich in einer riesigen Halle: vierhundert Quadratmeter gähnende Leere, unterteilt durch eine Reihe rechtwinkliger Pfeiler in regelmäßigen Abständen. Auch hier lagen zahllose Glassplitter auf dem Boden und knirschten unter meinen Schritten. Ich lauschte. Kein Laut, kein Atmen. Langsam durchquerte

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