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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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alles durchaus ruhig vonstatten gegangen. Professionell. Der Mörder hat das Organ mit Geduld und Sachverstand entfernt. Danach ist er offenbar in Raserei verfallen. Der Mörder - oder ein anderer, der mit einem chirurgischen Instrument bewaffnet war - hat sich über die Leiche hergemacht und sie von oben bis unten zerfetzt, insbesondere in der Schamgegend hat er mit der Klinge gewütet und sie benutzt wie eine Säge. Das war die zweite Phase des Gemetzels. Und schließlich kamen die Tiere des Waldes und vollendeten das Werk. Was das betrifft, ist die Leiche sogar in relativ gutem Zustand, wenn man bedenkt, daß sie die ganze Nacht dort gelegen hat. Diesen Umstand erkläre ich mir mit der aseptischen Tinktur, die der oder die Mörder vor der Operation auf den Brustkorb aufgetragen haben. Der Geruch hat die Tiere sicherlich mehrere Stunden lang ferngehalten.
    Soweit die Zusammenfassung der Fakten, Monsieur Antioche. Was den Ort des Verbrechens anbelangt, würde ich sagen, daß sich alles an eben der Stelle abgespielt hat, an der die Leiche gefunden wurde, und zwar vermutlich auf einer Plane oder ähnlichem, denn auf der gesamten Lichtung gibt es keinerlei Spuren. Daß dies das abscheulichste Verbrechen ist, das ich je erlebt habe, brauche ich nicht eigens zu erwähnen. Ich habe den Nikolitschs die Wahrheit gesagt. Sie müssen Bescheid wissen. Die barbarische Tat hat sich anschließend wie eine Blutspur durch das ganze Land gezogen und den Unsinn hervorgebracht, den Sie wahrscheinlich in der Lokalpresse gelesen haben. Ich persönlich habe weiter keinen Kommentar dazu. Ich versuche lediglich, den Alptraum zu vergessen.«
    Jemand öffnete die Tür, und die grölenden Stimmen der Zigeuner quollen ins Zimmer, der Lärm der Musik, der Knoblauchdunst. Die türkisfarbene Frau erschien, in der Hand trug sie ein Tablett mit einer Flasche Wodka, Gläsern und verschiedenen Sodaflaschen. Ihre Ohrgehänge schlugen mit dumpfem Klang aneinander, als sie das Tablett auf einem kleinen Tisch neben meinem Sessel abstellte. Den Wodka lehnte ich ab und ließ mir statt dessen eine durchsichtige Limonade in der Farbe von Urin einschenken. Djuric nahm sich ein kleines Glas Wodka. Meine Kehle war ausgedörrt und brannte wie Feuer, und ich kippte das Getränk in einem Zug. Ich wartete, bis die Frau die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann fragte ich: »Würden Sie zustimmen, daß es sich trotz der Grausamkeit des Verbrechens um eine chirurgische Operation handelt, die den Zweck hatte, Rajkos Herz zu entnehmen?«
    »Ja und nein. Ja, weil man sowohl die Technik der Chirurgie angewandt als auch für eine relative Keimfreiheit gesorgt hat. Nein, weil bestimmte Einzelheiten dem sehr widersprechen. Das Ganze hat mitten im Wald stattgefunden. Aber die Entfernung eines Organs setzt allerstrengste antiseptische Bedingungen voraus, die in der freien Natur unmöglich zu gewährleisten sind. Und vor allem muß der Patient unter Anästhesie stehen. Rajko war jedoch bei Bewußtsein.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ich habe eine Blutprobe entnommen und keine Spur von einem Narkose-, zumindest einem Beruhigungsmittel festgestellt. Die Öffnung des Brustraums hat bei vollem Bewußtsein stattgefunden. Rajko ist am Leiden gestorben.«
    Ich spürte, wie mir der kalte Schweiß über den Rücken lief. Djuric starrte mich hinter seinen Brillengläsern an, die Augen schienen ihm aus dem Kopf zu treten. Offensichtlich prüfte er die Wirkung seines letzten Satzes.
    »Würden Sie mir das bitte näher erklären, Herr Doktor?«
    »Abgesehen von fehlenden narkotisierenden Substanzen im Blut sind die Zeichen untrüglich. Ich sprach von den Spuren einer Fesselung an den Schultern, den Handgelenken, den Schenkeln, den Knöcheln. Dabei handelte es sich um Gurte oder Riemen aus Kautschuk, derart festgeschnürt, daß sie tief ins Fleisch schnitten - um so tiefer, je mehr der Körper sich vor Schmerzen wand. Auch der Knebel war etwas Besonderes, nämlich ein sehr starkes Heftpflaster. Als ich etwa achtzehn Stunden nach dem Tod die Autopsie vornahm, war der Bart bereits nachgewachsen - wie Sie vermutlich wissen, wachsen die Körperhaare eines Menschen noch bis zu drei Tage nach seinem Tod -, allerdings nicht rund um die Lippen, die völlig bartlos waren. Warum? Weil die Mörder bei der Entfernung des Pflasters an dieser Stelle die Barthaare mit ausgerissen haben. Der Körper war also ruhiggestellt und zu absolutem Stillschweigen verurteilt. Als hätten die Schlächter dieses

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