Der Flug der Stoerche
befiehlt, nach möglichen Kellerräumen und Verstecken zu suchen. Erneut schwärmen die Truppen aus, und diesmal verteilen sie sich auf verschiedene strategische Punkte: die staatliche Rundfunkanstalt, das Gefängnis, die Wohnhäuser der Minister .
In der Stadt herrscht das totale Chaos. Männer und Frauen in Feststimmung, mehr oder weniger angetrunken, hören die ersten Schüsse. Alles flüchtet. Die Hauptstraßen sind blockiert, die ersten Bewohner werden erschossen. Bokassa dreht durch, schlägt die Gefangenen, schnauzt seine Männer an - und verschanzt sich im Lager Roux, weil er halb tot ist vor Angst.
Alles kann sich noch ändern. Er hat weder Dacko noch dessen gefährlichste Berater verhaftet.
Dabei hat der Präsident immer noch keine Ahnung. Auf dem Rückweg nach Bangui gegen ein Uhr morgens trifft er auf die ersten Flüchtlinge, von denen er die Nachricht vom Staatsstreich und seinem eigenen Tod erhält. Eine halbe Stunde später wird er verhaftet. Bei seinem Eintreffen fällt ihm Bokassa um den Hals, küßt ihn und sagt: >Ich hab’ dich gewarnt, das mußte ein Ende haben.<
Die kleine Truppe bricht sofort auf zum Gefängnis von Ngaragba. Bokassa reißt den Direktor aus dem Schlaf. Der tritt ihm mit Handgranaten entgegen, weil er an einen Überfall durch Kongolesen glaubt. Bokassa befiehlt ihm, die Gefängnistore zu öffnen und alle Gefangenen freizulassen. Der Mann weigert sich. Banza zielt mit seiner Pistole auf ihn, und in dem Augenblick sieht der Gefängnisdirektor, daß Präsident Dacko im Wagen sitzt und irgendein Soldat ihm den Gewehrlauf in den Nacken hält. >Das ist ein Staatsstreich^ sagt Bokassa leise. >Ich brauche diese Freilassung für meine Popularität, verstehst du?< Der Direktor gehorcht, woraufhin Diebe, Betrüger und Mörder in die Stadt strömen und brüllen: >Es lebe Bokassa! < Unter ihnen ist eine Gruppe sehr gefährlicher Mörder, Männer vom Stamm der Kara, die ein paar Tage später hätten hingerichtet werden sollten. Blutrünstige Killer. Diese Leute kommen um zwei Uhr morgens zum Tor unseres Grundstücks in der Avenue de France.
Unser Verwalter, aus dem Schlaf gerissen, will aufmachen, er hat das Gewehr in der Hand, aber die Irren haben bereits die Tür eingetreten. Sie überwältigen Mohammed und nehmen ihm das Gewehr ab, dann ziehen sie ihn aus, halten ihn am Boden fest und brechen ihm mit Stock- und Kolbenhieben die Nase, den Kiefer, die Rippen. Seine Frau Azzora kommt hinzu und sieht, was vor sich geht, auch die Kinder tauchen auf, sie reißt sie zurück. Als Mohammed in einer Blutlache zusammenbricht, fallen sie über ihn her. Mit Axt und Kreuzhacke. Nicht ein einziges Mal hat Mohammed geschrien, nicht einmal um Gnade gebeten. Azzora nutzt die Raserei aus und flieht mit ihren Kindern. Sie verstecken sich in einem betonierten Kellerverschlag, der halb unter Wasser steht. Einer der Männer, der mit dem Gewehr, verfolgt sie bis hinunter. In dem Loch voller Wasser verursachen die Schüsse kaum Lärm. Als der Mörder wieder auftaucht, ist er blutüberströmt. Er hat vier Kinder und ihre schwangere Mutter erledigt.
Ich weiß nicht, wie lang mein Vater die Szene schon beobachtet hat. Jedenfalls lädt er seine Waffe, eine großkalibrige Mauser, bezieht hinter einem Fenster Stellung und wartet auf die Angreifer. Meine Mutter ist aufgewacht und will zu uns ins Zimmer, sie ist noch benommen vom Champagner, den sie auf der Feier getrunken hat. Aber das Haus brennt schon. Die Männer sind von hinten eingedrungen, verwüsten alle Zimmer, stürzen Möbel und Lampen um und lösen in ihrer Tobsucht ein Feuer aus.
Über das Massaker an meiner Familie gibt es keine offizielle Version. Man nimmt an, daß mein Vater mit seinem eigenen Gewehr aus unmittelbarer Nähe erschossen wurde. Meine Mutter wurde offenbar oben an der Treppe überfallen und wahrscheinlich mit Axthieben getötet, ein paar Schritte von unserem Zimmer entfernt. In der Asche hat man später ihre verstreuten und verbrannten Gliedmaßen gefunden. Mein Bruder, der zwei Jahre älter war als ich, ist in den Flammen umgekommen, gefangen im brennenden Moskitonetz. Die meisten Angreifer sind übrigens ebenfalls verbrannt, das selbstverursachte Feuer hat sie überrascht.
Ich weiß nicht, durch welches Wunder ich überlebt habe. Ich erinnere mich an nichts, man hat mir alles erzählt. Offenbar bin ich durch den Regen gelaufen, mit brennenden Händen, schreiend, bis ich vor der Tür der französischen Botschaft zusammengebrochen bin.
Weitere Kostenlose Bücher