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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Abräumen. Während sie ihre Küche in Ordnung brachte, betrat ich den Wohnraum. Sarahs Haus war weiß und klein; soweit ich sehen konnte, gab es neben der Küche und diesem großen Raum noch zwei Schlafzimmer, zu denen man über einen Gang gelangte. Auf einem Möbelstück sah ich das Foto eines breitschultrigen jungen Mannes mit lebhaftem Ausdruck, sein sonnengebräuntes Gesicht verbreitete Gesundheit und Sanftmut. Ido sah seiner Schwester ähnlich: derselbe Schwung der Brauen, dieselben Wangenknochen, doch dort, wo bei Sarah nur Magerkeit und Anspannung waren, strahlte Ido vor Vitalität. Auf diesem Bild schien er mir um einige Jahre jünger als seine Schwester, vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig.
    Sarah kam aus der Küche zurück, und wir setzten uns wieder auf die Terrasse. Dort öffnete sie eine kleine Blechschachtel, die sie mitgebracht hatte.
    »Rauchst du?«
    »Was - Zigaretten?«
    »Nein, Gras.«
    »Überhaupt nicht.«
    »Na, das wundert mich nicht. Du bist ein komischer Kauz, Louis.«
    »Aber laß dich durch mich nicht abhalten, wenn du willst ...«
    »Es taugt nur was, wenn man’s gemeinsam tut«, sagte Sarah knapp und schloß ihre Schachtel wieder.
    Sie schwieg, dann musterte sie mich kurz.
    »Jetzt bist du an der Reihe, Louis«, sagte sie dann mit abgewandtem Gesicht, »und wirst mir erklären, was du wirklich hier tust. Du siehst mir nicht aus wie ein birdwatcher. Die kenn’ ich doch. Die sind völlig abgefahren, reden von nichts anderem als ihren Vögeln und leben mit dem Kopf im Himmel. Du hingegen hast von Vögeln keine Ahnung, außer von Störchen. Und du kommst mir vor wie einer, der hinter jemandem her ist und gleichzeitig selber verfolgt wird. Wer bist du, Louis? Ein Bulle? Ein Journalist? Weißt du, den Gojim gegenüber sind wir hierzulande mißtrauisch.« Sarah senkte die Stimme. »Aber ich bin bereit, dir zu helfen«, fügte sie hinzu.
    »Erzähl mir, was du suchst.«
    Ich zögerte kurz, doch nach einer Weile erzählte ich ihr alles und ohne zu stocken. Was hatte ich denn zu verlieren? Außerdem tat es mir gut, mit jemandem zu sprechen. Also berichtete ich von dem sonderbaren Auftrag, den Max Böhm mir kurz vor seinem Tod erteilt hatte. Ich erzählte ihr von den Störchen, dieser ursprünglich ganz harmlosen Nachforschung zwischen Himmel und Wind, die auf einmal zum Alptraum geworden war. Von meinen letzten achtundvierzig Stunden in Bulgarien. Ich sagte ihr, wie Rajko Nikolitsch zu Tode gekommen war. Wie Marcel, Yeta und wahrscheinlich ein Kind erschossen worden waren. Wie ich einem Fremden in einem verlassenen Lagerhaus mit einer Glasscherbe die Kehle aufgeschlitzt hatte. Ich sagte, ich sei fest entschlossen, das zweite Schwein und seine Auftraggeber aufzuspüren. Und schließlich erzählte ich von Monde Unique, von Dumaz, von Djuric und von Joro. In meinem Kopf vermischte sich alles miteinander, das Hochfrequenz-Operationsmesser, der Diebstahl von Rajkos Herz, Max Böhms geheimnisvolles Transplantat.
    »Vielleicht kommt es dir komisch vor«, schloß ich, »aber ich bin überzeugt, daß der Schlüssel zu allen diesen Rätseln bei den Störchen liegt. Von Anfang an hatte ich den Verdacht, daß Böhm irgendein anderes Motiv dafür hatte, daß er seine Störche unbedingt wiederfinden wollte. Und die Morde markieren exakt die Route der Störche, Kilometer für Kilometer.«
    »Du meinst, der Tod meines Bruders steht in irgendeinem Zusammenhang damit?«
    »Vielleicht. Ich müßte ein bißchen mehr darüber wissen.«
    »Die Akte hat der Schin Bet. Da kommst du nicht ran.«
    »Und die Leute, die ihn gefunden haben?«
    »Die werden dir nichts sagen.« »Entschuldige, Sarah, aber hast du die Leiche gesehen?«
    »Nein.«
    »Weißt du . «, ich zögerte einen Augenblick, ». ob bestimmte Organe gefehlt haben?«
    »Was soll das heißen?«
    »War das Innere des Brustkorbs intakt?«
    Sarahs Miene verdüsterte sich.
    »Die Vögel haben den größten Teil seiner Eingeweide aufgefressen. Das ist alles, was ich weiß. Seine Leiche wurde am frühen Morgen gefunden. Am 16. Mai, um genau zu sein.«
    Ich stand auf und ging ein paar Schritte durch den Garten. Idos Tod war ohne Zweifel ein weiteres Glied in der Kette, eine weitere Stufe des Schreckens - aber mehr denn je tappte ich absolut im dunkeln.
    »Was du da erzählst, Louis, ist mir völlig schleierhaft, aber ich muß dir was sagen.«
    Ich setzte mich wieder zu ihr und holte mein kleines Notizbuch aus der Hosentasche.
    »Erstens, Ido hat irgendwas

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