Der Flug der Stoerche
noch zu dunkel, als daß wir einander hätten sehen können, und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich über die Tragödie meiner Kindheit sprechen, ohne Furcht und ohne Scham.
»Ich bin in Afrika geboren. Niger oder Mali, ich weiß nicht genau. Meine Eltern sind in den fünfziger Jahren in den schwarzen Kontinent gezogen. Mein Vater war Arzt, er kümmerte sich um die schwarze Bevölkerung. 1963 ließen sich Paul und Marthe Antioche in Zentralafrika nieder, einem der rückständigsten Länder Afrikas. Und dort führten sie unermüdlich ihre Arbeit fort. Mein älterer Bruder und ich wurden größer, wir verbrachten unsere Zeit zwischen klimatisierten Klassenzimmern und der feuchten Hitze im Busch.
Damals war der Präsident der Zentralafrikanischen Republik David Dacko, der unter den Jubelrufen des Volkes seine Macht direkt aus der Hand von Andre Malraux erhalten hatte. Die Situation war nicht umwerfend, aber auch nicht katastrophal. Auf keinen Fall wollte die zentralafrikanische Bevölkerung einen Regierungswechsel. Aber 1965 beschloß ein Mann, daß sich alles ändern müsse, und das war Oberst Jean-Bedel Bokassa.
Er war zu der Zeit bloß ein obskurer Armeeangehöriger, aber der einzige in Zentralafrika, der einen Dienstgrad hatte, und außerdem gehörte er zur Familie des Präsidenten, dem Stamm der M’Baka. Deswegen erhält er ohne weiteres den Oberbefehl über die Armee, die aus einem kleinen Infanteriebataillon besteht. Als er erst einmal Chef des Generalstabs der zentralafrikanischen Armee ist, hört Bokassa nicht mehr auf, nach der Macht zu schnappen. Bei offiziellen Paraden drängt er sich vor, tritt dem Präsidenten auf die Fersen, überholt die Minister und brüstet sich in seiner medaillenübersäten Uniform. Überall posaunt er herum, daß die Macht von Rechts wegen ihm zusteht, denn er ist ja älter als der Präsident. Keiner wird mißtrauisch, denn man unterschätzt seine Intelligenz, man hält ihn lediglich für einen sturen und rachsüchtigen Säufer. Aber Ende 1965 beschließt Bokassa mit Unterstützung von Oberleutnant Banza - mit dem er zur Verstärkung der Bande zwischen ihnen Blutsbrüderschaft geschlossen hat -, zur Tat zu schreiten. An Silvester, um genau zu sein.
Am 31. Dezember also, um drei Uhr nachmittags, versammelt er sein Bataillon, ein paar hundert Mann, und erklärt ihnen, daß am selben Abend eine Kampfübung stattfinden soll. Die Soldaten wundern sich, ein derartiges Manöver am Silvesterabend ist eher ungewöhnlich. Bokassa duldet keine Widerrede. Um neunzehn Uhr versammeln sich die Truppen vom Heerlager Kassai. Ein paar Männer stellen fest, daß die Munitionskisten echte Kugeln enthalten, und verlangen Erklärungen. Banza richtet seine Pistole auf sie und befiehlt ihnen, das Maul zu halten. Jeder macht sich bereit. In Bangui beginnt das Fest.
Stell dir das Bild vor, Sarah. In dieser kleinen Stadt aus roter Erde, kaum beleuchtet, voller unfertiger Gebäude, fängt die Musik an zu dröhnen, und der Alkohol fließt in Strömen. In der Polizeikaserne sitzen die Verbündeten des Präsidenten und sind ahnungslos. Sie tanzen, trinken, amüsieren sich. Um halb neun locken Bokassa und Banza den Chef der Polizeitruppe, Henri Izamo, in eine Falle. Sie bestellen ihn zum Lager Roux, einem weiteren strategischen Punkt, und der Mann geht allein dorthin. Bokassa empfängt ihn überschwenglich und erklärt ihm, daß er einen Putsch plant. Izamo hört erst ratlos zu, dann fängt er an zu lachen. Auf der Stelle schlitzt ihm Banza mit dem Säbel den Nacken auf. Die beiden Verschwörer legen ihm Handschellen an und schleppen ihn in einen Keller. Das Fieber steigt. Jetzt gilt es, David Dacko zu finden.
Die Militärkolonne setzt sich in Bewegung, vierzig Fahrzeuge in Tarnfarben, randvoll mit verstörten Soldaten, die erst jetzt allmählich begreifen, was vor sich geht. An der Spitze dieses makabren Konvois fahren Bokassa und Banza in einem weißen Peugeot 404. An dem Abend regnet es auf die blutrote Erde. Nur leicht, wie’s der Jahreszeit entspricht, dort nennt man es >Mangoregen<, weil er die Mangofrüchte wachsen läßt. Unterwegs begegnen sie dem Kommandeur Sana, einem weiteren Getreuen von Dacko, der seine Eltern nach Hause begleitet. Sana ist fassungslos, er versteht sofort, daß es diesmal zu einem Staatsstreich kommt. Im Präsidentenpalast angelangt, suchen die Soldaten den Staatschef vergeblich. Dacko ist unauffindbar. Bokassa wird allmählich nervös, er rennt herum, brüllt,
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