Der Flug des Falken
verstand nur zu gut - so wie ihre aufmüpfigen Untergeben es verstanden hätten, hätten sie den nötigen Grips gehabt, den Befehl zu übernehmen -, dass die Eroberung auch nur einer dieser beiden Schatzkammern die endgültige Vergeltung der Republik der Sphäre nach sich gezogen hätte, eine Vergeltung, die von den Stahlwölfen nur noch Asche zurückgelassen hätte.
Die Republik war dekadent. Die Stahlwölfe waren auf Terra nur knapp unterlegen. Aber trotzdem schien die Republik riesig, und sie war mächtig, mächtiger als Anastasia selbst ihr zugestanden hatte. Und mehr noch, sie hatten die Republik wütend gemacht. Sie und ihre Stahlwölfe waren Vogelfreie, wurden von Billionen gehasst. Ihre nächste Begegnung mit den Truppen der Republik würde auch die letzte sein.
Außer als Instrument zur Verwirklichung ihrer persönlichen Ambitionen hätten Anastasia die Stahlwölfe nicht gleichgültiger sein können, und diese Ambitionen waren zwar vorerst auf Eis gelegt, aber sie hatte sie keineswegs aufgegeben. So weit es sie betraf, waren ihre Untergebenen nur billige Kopien,
Sphäroiden, so sehr sie auch die Clansitten nachäfften. Aber sie war noch nicht bereit, ihr persönliches Abenteuer, ihr Leben, ihrer Nemesis zu opfern: der beherzten platinblonden Tara Campbell, der »hübschen kleinen Countess«, wie Anastasia sie nannte, für die die Wölfin bei ihren mehrfachen Begegnungen auf dem Schlachtfeld eine beinahe ebenso große Sympathie wie Hassgefühle entwickelt hatte.
Ihr Kommunikator meldete sich mit einem lauten Surren. Sie hob ihn ans Ohr. Es war einer ihrer Nachrichtendienstler in der zentralen Druckkuppel, der den Funkverkehr zwischen La Blon und dem lebhaften Raumschiffsverkehr, der sowohl aus interplanetaren Schiffen als auch aus überraschend zahlreichen interstellaren Besuchern bestand, abhörte. La Blon war kein Hinterwäldlerplanet wie Northwind. Selbst der Wegfall der HPG-Verbindungen hatte das Geschäft hier kaum tangiert. Perverserweise machte gerade das dieses System zu einem hervorragenden Versteck: Stahlwolfschiffen fiel es leicht, zwischen all den anderen unterzutauchen.
Ihr MedTech beobachtete das Gespräch mit scharfen Augen. Das Interesse der anderen war heimlicher, aber nicht weniger intensiv.
Sie schloss den Kommunikator und lachte schnaufend. »Ein aus dem Steiner-Raum eingetroffener Händler hat mit einer überraschenden Nachricht eine Sensation ausgelöst«, verkündete sie dem ganzen Raum, sah aber Murchison dabei an.
Die anderen Wölfe unterbrachen Mahlzeit und Gespräche und drehten sich zu ihr um. Obwohl sie wussten, dass sich ihre Anführerin mehr als einmal als zur Sphäre gehörig ausgegeben hatte - zum Teil erst vor Kurzem -, erwartete keiner von ihnen, dass Anastasia sie mit belanglosem Tratsch langweilte. Und was Sphäroiden untereinander trieben, fiel grundsätzlich in diese Kategorie.
»Offenbar durchquert eine Flotte das Lyranische Commonwealth«, stellte Kerensky fest. »Eine Kriegsflotte. Aus der Jadefalken-Besatzungszone.«
War der Raum zuvor still gewesen, dann war er jetzt so lautlos wie ein Vakuum. Die Krieger starrten ihre Alphawölfin an, als wollten sie mit ihren Blicken den Rest der Information herauszwingen.
»Offenbar haben die Kotvögel dem Archon persönlich ein Ultimatum gestellt - Mut haben sie, das muss ich ihnen lassen, wenn auch kein Hirn im Schädel. Sie verletzen munter den Steiner-Raum und drohen dann den Quadratschädeln mit Krieg, sollten sie es wagen, etwas dagegen zu unternehmen.«
»Sie durchqueren den Steiner-Raum?«, fragte der erst kürzlich beförderte Sterncolonel Aretha Vickers. Ihre Stimme krächzte entsetzlich, das Ergebnis eines Unterarmhiebs auf ihren Kehlkopf in Geschkotagen. Eine chirurgische Korrektur hatte sie abgelehnt. »Wozu?«
Anastasia stand auf und lächelte. »Wozu wohl? Zu einem Vernichtungstest.«
»Gegen wen?«, wollte Sterncaptain Cams wissen.
»Gegen uns natürlich.«
Militärakademie Sanglamore, New Aberdeen, Skye Präfektur IX, Republik der Sphäre
28. Juni 3134
»Verzeihung«, ertönte eine tiefe Männerstimme an der Tür des Pausenraums.
Tara Campbell zuckte hoch. Sie blinzelte. Ihr wurde bewusst, dass ihr Kinn langsam immer tiefer in den offenen Kragen des weißen Männerhemds gesunken war. Als Antwort auf die Tendenz der Skyeaner, in ihr das Sexpüppchen zu sehen, hatte sie sich angewöhnt, bei möglicherweise öffentlichen Gelegenheiten Männerkleidung zu tragen.
Die anfängliche Panik wegen der
Weitere Kostenlose Bücher