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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

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Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Sohn zu sich geholt.

8
    Donnerstag, 12. Oktober 1837
    Mitternacht
     
    Paul fuhr sich mit der Hand durchs Haar und atmete noch einmal tief ein, bevor er die Räume seines Vaters betrat. Der alte Mann war noch genauso verzweifelt, wie er ihn vor ein paar Stunden verlassen hatte. Er hatte sich nicht aus seinem Sessel wegbewegt und trug noch immer dieselbe Kleidung wie an dem Tag, als der Unfall geschehen war. Seine geröteten Augen starrten blicklos vor sich hin, und sein Kinn war von Bartstoppeln bedeckt. In diesem Augenblick spiegelten sich Johns Züge in den seinen.
    Paul durchquerte den Raum und suchte seinen Blick. »Er ist tot«, sagte er heiser und musste gegen den Schmerz in seiner Kehle ankämpfen.
    Abrupt ließ Frederic den Kopf sinken.
    Als Paul merkte, dass sein Vater weinte, wollte er sich zurückziehen.
    »Und John?« Die Stimme brach.
    »Er hält sich tapfer.«
    Wieder wollte Paul gehen. Nach den Ereignissen der letzten Tage konnte er sich nicht auch noch die Verzweiflung seines Vaters auf die Seele laden. Aber diesmal ließ ihn ein Blatt Papier auf dem Boden innehalten. Er hob es auf und überflog es, während er es zu zwei weiteren Kopien auf den Schreibtisch legte. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er verwundert.
    Frederic hob den Kopf. »Das ist mein Vermächtnis an John – zu wenig und zu spät.«
    »Du hast ihm das Sorgerecht für die Mädchen und Pierre übertragen?«
    »Das ist doch jetzt unwichtig, nicht wahr?«
    »Aber warum auch für Yvette und Jeannette?«
    »Am Samstag hat John mich um das Sorgerecht für alle drei Kinder gebeten. Aber ich mochte nicht in mich gehen – und habe seine Bitte abgelehnt. Als ich es mir überlegt hatte, war es zu spät.«
    Frederics Gesicht war eine Maske des Kummers. »Wegen mir musste mein Enkelsohn sterben. Vergib mir, Colette, er ist nur wegen mir gestorben.«
    Das Mondlicht fiel ins Zimmer und auf den Teppich, das Fußende des Betts und auch auf den Mann, der keinen Schlaf fand. Erschöpft grübelte John über sein sinnloses Leben und starrte zu den Spinnweben an den Deckenbalken empor.
    Diesmal hatte er sich mit der Strömung treiben lassen, aber das Ergebnis war noch schrecklicher als sonst, wenn er das Schicksal zu seinen Gunsten zu beeinflussen suchte. Er war ein dämlicher Narr! Wann würde er begreifen, dass er immer nur Unglück brachte? Niemals! Er hatte Gott, hatte seinen Vater herausgefordert, und als Ergebnis war Pierre tot. Pierre und …
    Die Nachtluft trug einen zarten Lilienduft ins Zimmer. Sie war gekommen, und ihre Gegenwart war so lebendig wie in der Vergangenheit. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn in den Stunden vor der Dämmerung besuchte. Also war klar, dass er träumte.
    Zauberhafte Colette … auf seiner Schwelle, in erregter Erwartung einer Liebesstunde, mit gelöstem Blondhaar und Augen so blau wie das Meer, die leicht geöffneten Lippen, die seinen Kuss ersehnten. Das Mondlicht enthüllte ihren nackten Körper unter dem hauchdünnen himmelblauen Gewand.
    Stöhnend schloss er die Augen, doch sie schwebte auf ihn zu, als ob sie sicher sei, dass er nicht widerstehen könne. »John«, flüsterte sie, »mein liebster John.«
    Bisher hatte sie nie etwas gesagt. Wie vom Donner gerührt sprang er auf. Mit ausgestreckter Hand berührte er sacht ihren Arm und erwartete, dass die Erscheinung sich auflöste. Als sie es nicht tat, packte er ihre Schulter und grub zornig die Finger in ihr Fleisch. »Lass mich in Ruhe! Du hast mich lange genug gequält!«
    Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und umschlang ihn. »Schick mich nicht fort«, bat sie.
    »Ich soll dichnicht wegschicken? Dabei warst du es doch, die mich verlassen hat!« Er schüttelte sie, bis ihr Kopf nach hinten sank und Tränen aus ihren Augen quollen. »Geh weg! Du bist tot. Verdammt. Du bist tot!«
    »Nicht, solange du leidest. Ich wollte, dass du nach Charmantes kommst, John, aber was geschehen ist, wollte ich nicht. Du weißt, was du tun musst, worum ich dich gebeten habe.«
    Tod … eine einfache Lösung …
    John zog sie an sich, und seine Lippen löschten ihren Wunsch. Er hob sie auf seine Arme und trug sie zum Bett. Dann zog er den dünnen Schleier zur Seite und liebte sie heftiger als je zuvor. Er küsste das verlockende Grübchen an ihrem Hals, das er nur ein einziges Mal berührt hatte. Ihr leises Keuchen und ihre zarten Koseworte beflügelten seine Leidenschaft. Sie war so ganz anders als die Frau, an die er sich erinnerte, und er ergötzte sich an der

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