Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
Liebe? Erzähl mir nicht, dass sie dich geliebt hat! Als ich in ihr Leben zurückkam, war sie nur noch traurig. Sie hatte sogar das Lächeln verlernt. Für mich hat das nicht nach Liebe ausgesehen!«
»Was verstehst du denn schon von Liebe!«
»Nichts, was ich jemals von dir gelernt hätte.« Die Bemerkung traf seinen Vater bis ins Mark. »Du behauptest ja auch, dass du meine Mutter geliebt hast, aber das glaube ich nicht, denn dann hättest du mich nie so behandelt. Im Gegensatz zu dir habe ich meinen Sohn geliebt. Und nun ist er tot … und das nur, weil du mich hasst.«
Zutiefst verletzt schnappte Frederic nach Luft. Agatha hat recht. John hasst mich, und das wird sich nie ändern .
Aber John war noch nicht fertig. »Du hast mir alles genommen. Alles … alles, was ich jemals geliebt habe, hast du mir aus den Händen gerissen!«
»John«, versuchte es Frederic noch einmal, »es tut mir leid.«
»Lass es! Lass diese Entschuldigungen, Vater! Ich werde dir nie vergeben! Ich bin froh, dass Colette zu mir zurückgefunden hat, dass sie endlich auf ihr Herz gehört hat. Wenn sie dich jemals gemocht hat, so nur aus Mitleid. Wenn du zuerst gestorben wärst, dann wäre die Lady heute meine Frau!«
Charmaine wich zurück, so sehr griff ihr Frederics schmerzvoller Gesichtsausdruck ans Herz.
Aber der Mann war durchaus gerüstet. »Diese Lady, wie du sie nennst, war diesen Titel nicht wert. Du machst mich für ihren Tod verantwortlich. Dabei weißt du gar nicht, woran sie gestorben ist – nämlich an der Fehlgeburt eines Kindes, das nicht von mir stammte.« Sichtlich genoss er den verdutzten Blick seines Sohnes. »Ja, John, deine Colette hat dich so sehr geliebt, dass sie noch einen anderen Liebhaber erhört hat.«
Nachdem John sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, lachte er los. »Wer hat dir denn diesen Blödsinn erzählt?«
»Blackford …«, sagte Frederic. »Frag Blackford.«
»Nein, den frage ich ganz bestimmt nicht! Blackford ist ein verdammter Lügner, der alles behaupten würde, um seine Unfähigkeit zu vertuschen! Falls er dir das überhaupt gesagt hat …«
Johns Schlussfolgerung blieb nicht ohne Auswirkung auf Frederic. Plötzlich konnte er nur noch schwer atmen.
Als Frederic schwieg, fuhr John in ernstem Ton fort: »Ich habe Colette geliebt, Vater. Ich habe sie geliebt, weil sie ein zutiefst anständiger, liebenswerter Mensch war. Du tust mir leid, wenn du das nicht verstehst. Ich habe sie geliebt, und im Gegensatz zu dir habe ich nur ein einziges Mal an ihr gezweifelt. Diese Lüge fällt also auf taube Ohren.« Er schüttelte den Kopf. »Was Colette betraf, so hast du immer das Schlimmste geglaubt, nicht wahr? Als ich sie zum ersten Mal nach Charmantes brachte, warst du ihr gegenüber sehr herablassend. So sehr, dass sie es gespürt hat und sich deswegen gesorgt hat. Ich habe ihr geraten, sich nicht darum zu kümmern. Das würde sich geben. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich denke, dass deine Meinung über sie feststand, als sie deinen Heiratsantrag angenommen hat. Du warst überzeugt davon, dass sie es allein auf das Vermögen der Duvoisins abgesehen hatte. Dabei hat sich Colette immer nur um ihre Familie, besonders um ihren Bruder, gesorgt und dich deshalb geheiratet. Welch ein Narr war ich, sie nur wegen ihres verdammten Pflichtgefühls zu verlassen – und das sogar noch ein zweites Mal! Ich hätte wissen müssen, dass du sie zerstörst! Ich hätte sie beschützen müssen!«
»John, es ist mir nie in den Sinn …«
»Wenn ich es doch nur wiedergutmachen könnte!«, redete John einfach weiter. »Ich würde sie nie mehr allein lassen. Es wäre mir gleichgültig, ob du mich enterbst. Geld ist mir einerlei. Im Gegenteil. Ich würde alles Geld der Welt geben, wenn ich sie nur für eine Sekunde wieder lebendig machen könnte!«
Angesichts dieser tiefen Gefühle senkte Frederic den Kopf und dachte an die beiden letzten Nächte zurück, in denen er Colette im Arm gehalten hatte. Tränen stiegen ihm in die Augen. »Ich weiß, dass du mir das niemals glauben wirst, mein Sohn, aber auch ich würde mit Freuden alles hingeben.«
»Du hast recht, Vater. Ich glaube dir nicht. Es klingt zwar gut, aber es ist nichts weiter als eine neue Lüge.«
Mit einem Mal wurde Frederic alles klar: Der eine Betrug vor knapp zehn Jahren war der Auslöser für alles. »Es gab nur eine einzige Lüge, John«, flüsterte er. »Ich dachte, dass du das wüsstest. Ich dachte, dass Colette dir in den letzten Jahren die
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