Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
auch noch ein Kind erwartete, platzte sein Herz beinahe vor Stolz. Es war ein glückliches Jahr. Er hatte eine zweite Chance bekommen.
Damals dachte er oft an John und kämpfte mit den Sätzen, die er hätte schreiben oder hätte sagen können, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Irgendwie ahnte er, dass er alles nur schlimmer machen würde. Letztlich konnte er nur hoffen, dass die Zeit alle Wunden heilte.
Die Zeit kam: John kehrte nach Charmantes zurück. Colette war zu dieser Zeit hochschwanger. Obgleich sie John freundlich begrüßte, mochte er sie kaum ansehen, und sobald sie sich im selben Raum befanden, stand ihm die Ablehnung ins Gesicht geschrieben. Je mehr Zeit verging, desto mehr ärgerte sich Frederic über die absichtlichen Kränkungen und Sticheleien. Warum war er zurückgekommen? Offenbar hasste er sie beide. Gegen Ende der Woche wurden seine Absichten schmerzhaft klar, als seine Stimme nämlich so wütend durchs Haus schallte, dass Frederic ihn oben in seinen Räumen hören konnte. Er rannte die Treppen hinunter und starrte entsetzt auf die Szene im Wohnraum. Das Einzige, was ihn in diesem Moment von einer Prügelei abhielt, war Colette, die mit den ersten Wehen aufs Sofa niedergesunken war.
Die Geburt der Zwillinge war schwer und dauerte mehr als vierundzwanzig Stunden. Frederic wich nicht von Colettes Seite und weigerte sich zu gehen, selbst als Blackford das verlangte. Er dachte an Elizabeths Wehen vor zwanzig Jahren und war vor Angst wie gelähmt. Er betete und handelte mit dem Allmächtigen, damit er Colette verschonte. »Geben Sie ihr etwas!«, schimpfte er ungehalten, als Colette sich vor Schmerzen krümmte.
Blackford gehorchte, und Frederic wurde ruhiger, als das Laudanum seine Wirkung tat. Trotzdem keuchte Colette und warf unruhig ihren Kopf hin und her. Frederic strich ihr das Haar aus der Stirn und murmelte tröstende Worte an ihrem Ohr. Schließlich verfiel sie ins Delirium und rief ein ums andere Mal lauthals nach John. Als sein Trost keine Wirkung zeigte, wandte Frederic sich ab.
Es dauerte noch Stunden, bis es endlich vorüber war und man ihm zwei gesunde Mädchen präsentierte. Aber die Liebe, mit der er die Kinder noch am Tag zuvor hatte überschütten wollen, war gestorben.
Von da an berührte er Colette nie wieder und nahm voll Bitterkeit zur Kenntnis, dass ihr Herz wohl für immer seinem Sohn gehörte. Er hatte sie beide bestohlen. Dass sie John als Liebhaber nahm, hätte ihn nicht überraschen dürfen. Und schmerzen auch nicht. Doch das konnte er nicht verhindern. Er dachte daran, wie sie vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit mit seinen Geschäftspartnern geflirtet hatte. Ihre Wünsche waren deutlich, aber mit ihm hatten sie nichts zu tun. Als Colette ihm ihre Affäre mit John gebeichtet hatte, ihn um Verständnis gebeten und ihre Ehe als Fehler bezeichnet hatte, war er davon ausgegangen, dass sie John die Wahrheit erzählt hatte. Aber das hatte sie nicht getan.
Wenn er zurückblickte, wurde ihm klar, dass Colette ihn stets beschützt hatte. Selbst als sie gelitten hatte, hatte sie das Band zwischen Vater und Sohn immer über ihre eigenen Wünsche gestellt. Sie hatte erst damit aufgehört, als er ihrer Seele zugesetzt hatte, indem er sie aus seinem Bett verbannt und ihr das erste zarte Band der Liebe verweigert hatte, das gerade zwischen ihnen keimte. Er schluckte, weil die Erkenntnis schmerzte. Auch diese Wahrheit hatte Colette seinem Sohn verschwiegen, um einen endgültigen Bruch zwischen ihnen zu vermeiden. Sie hatte sie beide geliebt und immer voreinander geschützt.
Er senkte den Kopf, als er an den traurigsten Punkt dachte: Trotz all seiner Intrigen und Verleumdungen hatte Colette ihn nie verdammt. Sie hatte immer nur das Beste angenommen und ihn mehr verehrt, als er gewusst hatte. Sie musste seine innersten Zweifel gekannt, musste geahnt haben, dass seine raue Art nur ein Schutzschild war und ihm letztlich anderes wichtig war. Und nun war sie tot. Auch das hatte er geschehen lassen. Selbst im Grab hatte er sie nicht aus dieser Not erlöst. Wenn du immer nur das Schlimmste denken willst, Frederic, dann mach nur so weiter … Du vertraust mir nicht … nicht einmal jetzt vertraust du mir …
Nein, ma fuyarde , schwor er, ich vertraue dir. Ich werde nie wieder das Schlimmste glauben . Blackford hatte gelogen. Aber warum?
Frederic erhob sich aus seinem Sessel. Dies sollte das letzte Mal sein, dass er den ganzen Tag hier verbracht hatte.
Robert Blackford erhielt
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