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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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verhüllte ihre hübsche Figur nur mangelhaft. Kein Wunder, dass Paul diese Frau anziehend fand. Aber erobert hatte er sie noch nicht. Das verriet ihm der unschuldig staunende Blick ihrer großen Augen.
    »Er ist doch noch ein Junge«, sagte sie, ohne zu ahnen, was sich in seinem Kopf abspielte.
    »Das ist richtig«, stimmte John zu. »Trotzdem hat er mich zu Tode erschreckt, als er plötzlich zu Jeannettes Bett gekrochen ist. Im Grunde müsste ich die Wette einlösen.«
    Charmaine lächelte, und Yvette kicherte.
    »Nur schade, dass er nicht das richtige Bett gefunden hat.«
    »Mich hätte er trotzdem nicht erschreckt«, bemerkte Yvette mit gewissem Hochmut.
    »Aber ganz bestimmt nicht.« John musste lachen, als ihm der Irrsinn der Situation bewusst wurde. »Jetzt aber schnell zurück ins Bett. Mach ein bisschen Platz, Pierre.«
    »Johnny?«
    »Ja?« John sah zu Jeannette hinüber, die die ganze Zeit geschwiegen hatte.
    »Joseph hat gesagt, dass er vorher noch nie hier im Zimmer war. Aber wer war dann beim letzten Mal hier?«
    »Auch Joseph, würde ich sagen. Wahrscheinlich hatte er keinen Mut, das zuzugeben.«
    »Das glaube ich nicht! Beim ersten Mal hatten Yvette und Joseph doch noch gar nicht gewettet!«
    Fragend zog John die Stirn kraus. »Verwechselst du vielleicht die Tage?«
    »Nein, unmöglich! Das erste Mal ist es in der Nacht passiert, als du angekommen bist – bei dem schrecklichen Gewitter. Der Sturm war so stark. Erinnern Sie sich, Mademoiselle?« Sie sah Charmaine an. »Sogar Sie haben sich gefürchtet. Sie sind in die Küche gegangen, um uns Milch und Kekse zu holen. Das wissen Sie doch noch, oder, Mademoiselle?«
    »Ich erinnere mich sehr genau«, flüsterte Charmaine. Sie wusste, dass John sie ansah, und fürchtete, dass ihre Gedanken auf ihren brennenden Wangen geschrieben standen.
    »Das erklärt zwar einiges, was mir seitdem durch den Kopf gegangen ist«, murmelte er versonnen. »Aber über den Zeitpunkt der Wette sagt es nichts.«
    »Oh, doch!«, warf Yvette ein. »Am ersten Morgen hast du mir den Frankenstein gegeben, aber Joseph hat die Wette erst vorgeschlagen, als er sah, dass ich das Buch lese.«
    »Frankenstein«, brummte John. »Also bin ich selbst schuld, wenn ich heute Nacht keinen Schlaf finde. Na gut. Ich kehre also zu meiner ursprünglichen Vermutung zurück. Ich werde den defekten Riegel gleich morgen reparieren.«
    »Aber, Johnny! Ich habe wirklich jemanden hier im Zimmer gesehen!«, protestierte Jeannette.
    »Aber nein, Jeannette, das hast du bestimmt nur geträumt. Ich kann dir versprechen, dass sich niemand hier eingeschlichen hat.«
    »Aber es war jemand hier«, piepste Pierre.
    »Wirklich?« John schmunzelte. »Und wer sollte das gewesen sein?«
    »Das darf ich nicht sagen«, sagte der Kleine.
    »Wie bitte?«
    »Na ja … Manchmal … Manchmal kommt Mama und besucht mich.«
    Alle hielten den Atem an.
    Ungläubig berührte John den Jungen an der Schulter. »Was sagst du da?«
    Aber Pierre lächelte unbeeindruckt.
    »Was hast du gesagt? Wer besucht dich manchmal in der Nacht?«, versuchte John es noch einmal.
    »Mama«, wiederholte Pierre glücklich. »Sie spielt mit mir und erzählt mir Geschichten.«
    »Er lügt!«, fuhr Yvette auf, doch als ihre Gouvernante sie zum Schweigen mahnte, brummte sie nur. »Natürlich tut er das.«
    »Und was erzählt sie dir?«, fragte Charmaine.
    »Das darf ich nicht sagen.«
    »Und warum darfst du das nicht?«, fragte John.
    »Mama … Mama sagt, dass ich nichts verraten darf.«
    »Kann es sein, dass du das alles geträumt hast?«, fragte Charmaine.
    »Nein«, widersprach Pierre heftig. »Sie weckt mich immer. Manchmal kommt sie auch mittags. Ich durfte auch in ihr großes Zimmer mit … als Auntie mich verhauen hat …«
    Als die alten Wunden wieder aufgerissen wurden, begann Jeannette zu weinen.
    Sofort rutschte Pierre vom Bett herunter und schmiegte sich an seine Schwester. »Hör auf zu weinen, Jeannie. Es tut mir leid. Ich will nicht, dass du weinst.«
    Ratlos sah Charmaine zu John, doch ein Blick auf sein leichenblasses Gesicht verstärkte die Gänsehaut, die ihr gerade über den Rücken kroch. Im Augenblick war von ihm nicht viel Hilfe zu erwarten. Was war geschehen? Angeblich waren Männer doch so stark.
    »Er hat sicher geträumt«, erklärte sie ohne rechte Überzeugung.
    Als sie kurz darauf wieder zu Bett ging, verfolgte Pierres bizarre Geschichte sie noch lange Zeit. Sie dachte auch an John. Wie gebannt hatte er auf die

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