Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
gehen.«
Nachdenklich betrachtete er Charmaine, während Fatima den Teller vor sie hinstellte. »Was machen die Kinder?«
»In den letzten Tagen waren sie sehr glücklich – besonders in Johns Gesellschaft.«
»John?« Paul schien irritiert, dass sie einfach den Vornamen benutzte. Wir werden ja sehen, wer der bessere Spieler ist . »Das gefällt mir nicht. John sollte sich nicht sooft mit den Kindern abgeben. Er hat einen schlechten Einfluss auf sie.«
Noch vor einer Woche hätte Charmaine ihm zugestimmt. Aber in den letzten Tagen hatte John sich vorbildlich benommen.
»Ich werde das unterbinden. Ich will nicht, dass John aus meiner Abwesenheit Vorteile zieht.«
»Sie wollen das unterbinden?« Leichter gesagt als getan! Mit dem Aufpassen hatte es angefangen, dann waren die Unterrichtsstunden gefolgt, und nun hatte er sogar bei den Kindern geschlafen. Ein Blick in Pauls Gesicht – und sie wünschte, dass er nie die Wahrheit erfuhr. »Ich glaube nicht, dass Sie Ihren Bruder so einfach herumkommandieren können. Er kommt und geht doch, wie es ihm gefällt.«
»Ich werde mit ihm reden. Meiner Meinung nach wäre etwas mehr Zurückhaltung angebracht.«
»Aber nicht doch!«
Ihre Heftigkeit überraschte ihn. »Und warum nicht?«
»Ich wollte nur sagen, dass … dass das nicht nötig ist. Man sticht nicht unnötig in ein Hornissennest. John war in letzter Zeit sehr freundlich zu mir, und die Kinder freuen sich über seine Besuche. Wenn Sie ihm verbieten, sich in unser Leben einzumischen, wird er genau das tun. Sie kennen ihn doch. Wenn Sie dagegen nichts sagen, wird ihm die Sache von allein langweilig.«
Paul dachte nach. »Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte er dann zu ihrer Erleichterung. »Nun gut. Während meiner Abwesenheit muss John mich ohnehin auf Charmantes vertreten. Das sollte ihn den Tag über beschäftigen. Dennoch sollten Sie sich in Acht nehmen. Ich kenne meinen Bruder gut, und ich kenne seine kleinen Spielchen. Er könnte auch die Kinder benutzen, um mit Ihren Gefühlen zu spielen. Aber ich lasse nicht zu, dass er Sie verletzt.«
Sicher war diese Ritterlichkeit echt, dachte Charmaine. Trotzdem lächelte sie nur halbherzig, aß rasch ihren Teller leer und verabschiedete sich von Paul.
Oben im Korridor trat John mit verschlafenen Augen aus seiner Tür. Mit Sicherheit freute er sich schon auf die nächste Nacht im eigenen Bett.
»Guten Morgen … oder was auch immer.« Er schloss den obersten Knopf an seinem Hemd. »Haben Sie überhaupt geschlafen?«
»Ja, kurz vor der Dämmerung bin ich eingenickt. Schlafen die Kinder noch?«
»Nein, sie sind hellwach und betteln schon die ganze Zeit, dass sie wieder das Fohlen besuchen dürfen. Außerdem planen sie eine Überraschung. Wir dachten, dass Sie noch schlafen, und ich habe ihnen eingeschärft, Sie nicht zu stören. Sie ziehen sich gerade allein an. Sogar Pierre – auch wenn er vielleicht seine Hose verkehrt herum anzieht. Als ich in mein Zimmer gegangen bin, steckte sein Bein gerade im Ärmel seines Hemds. Trotzdem hat er meine Hilfe abgelehnt.«
»Ich verstehe.« Charmaine kicherte.
»Ich kann gern mit den Kindern frühstücken, wenn Sie sich noch ein Weilchen ausruhen möchten.«
Etwas mehr Zurückhaltung . Charmaine erschrak. Womöglich saß Paul noch beim Frühstück. »Vielen Dank, aber das ist nicht nötig«, erwiderte sie etwas heftig. »Trotzdem danke ich Ihnen für das Angebot«, fügte sie noch schnell hinzu.
»Gibt es einen Grund, warum ich nicht mit den Kindern frühstücken soll?«
»Nein«, log sie, um sein Misstrauen nicht zu wecken. Musste sie von nun an immer die Balance zwischen den beiden Brüdern wahren? Innerlich stöhnte sie. »So früh am Morgen kann ich Ihre Hilfe unmöglich in Anspruch nehmen. Aber begleiten dürfen Sie uns natürlich gern. Die Aufsicht der Kinder liegt nun einmal in meiner Verantwortung.«
»Das ist richtig«, sagte er, doch seine gerunzelte Stirn ließ Zweifel daran aufkommen.
»Er ist so schön!«, rief Jeannette und streichelte das Fell des Fohlens.
»Nicht nur schön«, berichtigte ihre Schwester, »sondern prachtvoll. Erinnerst du dich an Rusty, Johnny?«
»Aber natürlich«, antwortete er, während er Phantom sattelte. »Warum?«
»Weißt du noch, als du Jeannette und mir das Reiten beigebracht hast?«
»Hm.«
»Seit er tot ist, sind wir nie mehr zusammen geritten. Die anderen Pferde sind alle zu groß für uns.«
John schnallte den Sattelgurt fest. »Ja, so ist das nun
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