Der Fotograf
antiquierten Vorstellungen von richtig und falsch und von Moral«, schnauzte er.
»Du verstehst das nicht«, fuhr er nach einer Weile fort. »Sie war dazu geboren, so zu sterben. Ich war dazu geboren, sie zu töten. Wir mussten uns nur noch finden.«
Sie drehte sich zu ihm um und wollte etwas erwidern, biss sich aber auf die Zunge.
Er sprach aus, was sie dachte. »Du willst sagen, dass es unrecht ist, jemandem das Leben zu nehmen, richtig?«
Sie nickte.
»Na schön, mag sein. Aber was macht das schon?«
Sie wusste nichts zu erwidern.
»Ich will’s dir sagen: Nichts.«
Wieder sah er sie an.
»Regierungen töten aus politischen Motiven. Ich töte aus Vergnügen. So verschieden ist das nicht.«
»So einfach ist das bestimmt nicht«, entgegnete sie. »Das kann es nicht sein.«
»Nicht? Du meinst, es ist so schwer zu töten? Du meinst wirklich, es ist so verdammt schwer? Na schön«, fuhr er fort, »na schön, verdammt. Na schön.«
Der Regen hatte nachgelassen, im leichten Nieseln schnitten die Scheinwerfer Streifen in die schwarze Nacht. Vor ihnen schimmerte New Orleans, und Jeffers fuhr schneller auf die Lichter zu. Er sagte nichts, bis sie die Stadt erreichten, wo die Hochleistungsdampflampen gegen das Dunkel kämpften. Die Stadt war nicht tröstlicher als das Moor, und Anne Hampton wurde plötzlich bewusst, dass für einen Menschen wie Jeffers zwischen beidem kein Unterschied bestand. Sie warf einen Seitenblick auf den Mann mit der ehernen Miene, dem angespannten Kinn und merkte, wie sich ihr der Magen verkrampfte.
Sie schlängelten sich durch die Straßen der Metropole. Jeffers spähte – offenbar auf der Suche nach etwas – angestrengt aus den Fenstern. Plötzlich trat er auf die Bremse und fuhr an den Bürgersteig heran.
»Du meinst, es ist so verdammt schwer«, knurrte er wütend.
»Ist es aber nicht.«
Er spähte in beide Richtungen der Straße, griff dann in seine Waffentasche und zog den kurzläufigen Revolver heraus. Er hielt ihn ihr unter die Nase. »Schwer? Dann sieh genau hin. Kurble deine Scheibe runter.« Sie gehorchte, und ein Schwall stickiger, feuchter Luft drang ins Wageninnere. Sie zitterte. Sie hatte keine Ahnung, was passieren würde. Jeffers stieg aus und lief zu ihrer Seite herum.
Er steckte den Kopf ins Fenster und befahl: »Sieh genau hin.« Sie nickte.
Er trat beiseite, und sie entdeckte eine Gestalt, die in einem unbeleuchteten Hauseingang an der Wand kauerte. Sie sah, wie Jeffers noch einmal in beide Richtungen der Straße blickte und dann den Bürgersteig überquerte.
Jeffers stieß den Obdachlosen mit dem Fuß an.
»Wach auf, alter Knabe.«
Der Mann hob benommen den angegrauten Kopf.
Jeffers drehte sich wieder zu Anne Hampton um. Sie sah, dass der Mann einen Bart hatte und mit freundlicher Neugier, ohne über die Störung verärgert zu sein, aufblickte. Sie begegnete Jeffers’ hartem Blick. Sie hatte das Gefühl, in einen unerklärlichen Abwind zu geraten und hilflos von einer unsichtbaren Kraft in die Tiefe gerissen zu werden. Sie sah, wie sich Jeffers wieder zu dem Obdachlosen umwandte, der offenbar versuchte, aus der Vergangenheit irgendwelche längst vergessenen Worte hervorzukramen, um etwas zu fragen.
»Gute Nacht, alter Knabe. Tut mir leid, dass es auf diese Weise sein muss«, sagte Jeffers.
Er beugte sich blitzschnell vor und steckte dem Mann in einer einzigen Bewegung den Pistolenlauf in den leicht geöffneten Mund. Jeffers hob die linke Hand, um sich vor dem Rückstoß zu schützen.
Dann drückte er ab.
Es gab einen einzigen, gedämpften Knall, der Mann schien sich kurz aufzubäumen, dann sackte er zusammen, als sei er wieder eingeschlafen.
Anne Hampton öffnete den Mund, um zu schreien, konnte es aber nicht.
Jeffers machte einen Schritt nach hinten, sah noch einmal in beide Richtungen die Straße hinunter und kehrte zügig zumWagen zurück. Langsam fuhren sie vom Bordstein, bogen um eine Ecke, dann um die nächste und die übernächste und immer so weiter durch die Nacht.
»Kurble deine Scheibe hoch«, forderte Jeffers sie auf.
Ihre Hand zitterte auf dem Griff. Ihr Atem kam in kurzen, krampfartigen Stößen. Statt Worte drangen ihr nur klägliche Wimmerlaute über die Lippen.
»Du siehst also, wie leicht es ist«, sagte Jeffers.
Er sah sie von der Seite an.
»Das ist deine Schuld«, stellte er fest.
Er schwieg.
»Hättest du mich nicht provoziert, hätte ich nicht etwas so Verabscheuenswürdiges tun müssen.«
Er sah sie mit einem kurzen,
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