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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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öffnete die Tür und trat ein. Zuerst sah er Dr. Har rison, der sich hinter seinem großen, braunen Schreibtisch langsam erhob. Er war ein älterer Herr mit ergrautem Haar – zu aufgeschlossen für die festgefahrene Routine einer staatlichen Geistesheilanstalt, zu alt und zu müde, um noch eigene Wege zu beschreiten. Jeffers mochte ihn trotz seiner Unzulänglichkeiten als Verwalter sehr. Dr. Harrison nickte Jeffers zu, bevor er sich zu der anderen Person umwandte, die sich ebenfalls erhob.
    Jeffers blieb kaum Zeit, die Frau zu taxieren. Dass sie ungefähr in seinem Alter war, erkannte er sofort. Als Nächstes nahm er vage dunkelbraunes Haar, ein konservatives, aber modisches Seidenkleid und die schlanke Figur wahr, bevor ihn die Augen der Kripobeamtin in ihren Bann zogen. Sie schienen schwarz zu sein und ihn unverwandt anzustarren. Unter diesem Blick kam er nicht zu der üblichen männlichen Feststellung, ob sie attraktiv war oder nicht. Er hatte das beunruhigende Gefühl, als fixierte ihn ein Henker, der mit unbestechlichem Auge abschätzte, wie fest er mit der Axt zuschlagen musste, um den Kopf zu Fall zu bringen.
    Ihm war augenblicklich unbehaglich, und er stammelte: »Ich, ähm … bin Dr. Jeffers. Wie kann ich Ihnen helfen, Detective …«
    Die Worte hingen in der Luft.
    Seine Hand blieb ein paar Sekunden lang ausgestreckt, bevor sie widerstrebend die ihre hob, um seinen Gruß zu erwidern. Ihr Griff war fest, wohl ein wenig übertrieben. Sie ließ seine Hand los, er zog sie zurück, und wie eine Nebelbank über dem Meer hing beredtes Schweigen über dem Raum. Ein nasskalter Moment verging, dann noch einer, in dem sie, ohne mit der Wimper zu zucken, seinem Blick standhielt.
    Schließlich fragte sie in einem Ton, der durch die Selbstbeherrschung,die er aus jedem Wort herauszuhören glaubte, umso erschreckender klang:
    »Wo ist Ihr Bruder?«
     
    Sie war augenblicklich wütend auf sich, als sie die Mischung aus Schock und Verwirrung im Gesicht des Arztes sah. Es war unvermeidlich gewesen, das hatte sie gewusst. Auf der Fahrt zur Anstalt hatte sie Dutzende von Eröffnungszügen erwogen, auch wenn sie von Anfang an gewusst hatte, dass sie an den Bruder von Susans Mörder im Grunde nur eine einzige, alles entscheidende Frage hatte. Für Detective Barren war sie von atomarer Sprengkraft, und die Konfrontation mit dem Doktor musste sie zwangsläufig zünden. Dabei zweifelte sie nicht daran, früher oder später die richtige Antwort zu bekommen; wer so entschlossen danach suchte, musste irgendwann fündig werden.
    Und wenn es so weit ist, hatte sie gedacht, dann bin ich bereit.
    Ein Teil von ihr hatte naiv gehofft, es würde leicht. Sie traute diesem Optimismus nicht, doch sie wusste, dass sich bei einem Frontalangriff viele Menschen zu einer unüberlegten Reaktion hinreißen ließen: »Er ist in …«, und schon fiel der Name einer Stadt, bevor das Misstrauen einsetzte und die unvermeidliche Frage kam: »Wieso wollen Sie das wissen?« Sie sah, wie der Bruder den Mund aufmachte, wie er zu einer Antwort ansetzte, und sie lehnte sich kaum merklich vor, auch wenn sie gleichzeitig wusste, dass sie zu viel Eifer zeigte. Doch im selben Moment machte er dicht und erwiderte ihren kühlen, unverwandten Blick.
    Verdammt, dachte sie wieder. Das wird nicht leicht.
    Verdammt, verdammt, verdammt.
    In diesem Moment hasste sie ihn fast so sehr wie den Mann,hinter dem sie her war. Fleisch und Blut, dachte sie. Vom selben Schlag.
    Sie sah, wie der Bruder schluckte und dem Verwaltungsdirektor einen Blick zuwarf, um etwas Zeit zu schinden und – verständlicherweise – mit dem Ansturm der Gefühle fertigzuwerden. Sie spürte, wie er diese wenigen Sekunden dazu nutzte, sich zu fassen und eine professionelle Fassade zu errichten. Er muss es gewohnt sein, mit Unvorhersehbarem umzugehen. Das gehört zu seinem Beruf. Er kommt damit klar. Wenig später lenkte er seine Augen wieder auf sie, und sie schwiegen einander an. Dann zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder, ohne den Blick von ihr abzuwenden, als wolle er die elektrische Spannung, die zwischen ihnen knisterte, nicht unterbrechen. Betont schlug er die Beine übereinander und forderte sie – wie der Lehrer den übereifrigen Schüler – mit einer jovialen, unbekümmerten Geste auf, auch ihrerseits wieder Platz zu nehmen.
    Verdammt, dachte sie wieder. Ich hatte ihn fast am Haken.
    Und jetzt ist es beinah umgekehrt.
    Sie ließ sich gegenüber dem Bruder des Mörders

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