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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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eilig durch die Sitzreihen, stießen gegen Menschen, umschifften Verkäufer mit Erfrischungen.
    Die riesige Menge und der hohe Lärmpegel irritierten sie. Sie fühlte sich, als schwebte sie im All – schwerelos, so dass die Geräusche sie davontragen konnten. Sie drückte sich eng an Jeffers, und als eine Gruppe junger Rüpel sich zwischen sie drängte, griff sie nach seiner Hand.
    Als die Heimmannschaft im fünften Inning am Schlag war, erklärte Jeffers, er habe Hunger. »Hör zu«, sagte er, »lauf mal da zu dem Imbissstand rüber und besorg uns ein paar Hotdogs.«
    Sie starrte ihn ungläubig an.
    In ihrer Umgebung dröhnte die Zuschauertribüne: Der stattliche Rechtshänder der Mets hatte einen seiner berüchtigten kräftigen Würfe hingelegt, und die Cardinals warteten mit ihrem Zwei-zu-null-Rückstand vergeblich auf den Lohn für ihre Mühen. Doch genau in dem Moment, als Jeffers seine Bitte ausgesprochen hatte, war der Lead-off vorgerückt, und der nächste Schlagmann landete prompt einen glatten Base-Hit nach rechts. Vor Spannung stand die Menge senkrecht, und das ganze Stadion hallte vom ermunternden, rhythmischen Klatschen wider. Sie musste brüllen, um sich bei ihm Gehör zu verschaffen.
    »Ich kann nicht«, rief sie.
    »Wieso nicht?«
    Plötzlich spürte sie seine Hand auf ihrem Bein und die Finger, die sich schmerzhaft in ihre Muskeln bohrten.
    »Ich kann es einfach nicht«, wiederholte sie, während ihr die Tränen in den Augen standen.
    Er starrte sie an. Perfekt, dachte er.
    »Wieso nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, dass der Lärm, die Menschen und die Welt, die er plötzlich in ihr Leben hereingelassen hatte, sie in Panik versetzten.
    »Bitte«, flehte sie.
    Er konnte sie nicht hören; der nächste Schlagmann hatte den Ball so weit nach vorn gebracht, dass eine Base in erreichbarer Nähe war; der Läufer punktete von der zweiten aus, indem er dem Hechtsprung des Fängers auswich, so dass sein Tag-Versuch in einer Staubwolke unterging. Jeffers sah jedoch ihre Mundbewegung, und das genügte.
    »Meinetwegen«, gab er nach. »Nur dieses eine Mal.«
    Er ließ ihr Bein los.
    Sie nickte zum Dank.
    »So was nennt man ein Bang-Bang-Spiel«, erklärte er.
    »Bang-Bang?«
    »Ja, wenn alles Schlag auf Schlag geht. Der Läufer rutscht aus, Bang! Der Fänger erzielt einen Tag, Bang! Er ist safe! Bang! Oder er ist out, Bang! Ich hab für dieses Klischee schon immer was übriggehabt.«
    Er entdeckte einen Erdnussverkäufer und winkte heftig, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu erregen. Er gab Anne Hampton eine Tüte, und nachdem sie angefangen hatte, die Schalen zu knacken und die Nüsse zu essen, bückte er sich und zog seine allgegenwärtige Nikon aus der Kameratasche.
    »Bitte lächeln«, rief er und schnellte auf seinem Sitz herum. Er knipste ein paar Bilder.
    Sie wurde verlegen. »Meine Haare«, meinte sie. »Diese alberne Kappe …«
    Doch er deutete nur aufs Spielfeld. »Da spielt die Musik«, wies er sie zurecht. »Pass gut auf, vielleicht musst du dich später an ein paar Einzelheiten erinnern.«
    Das machte ihr Angst, und sie versuchte, sich auf die Vorgänge unterhalb der Tribüne zu konzentrieren. Ich verstehe was von Baseball, beruhigte sie sich. Ich weiß, was Spielzüge des Squeeze-Play und Pitchouts sind und wie man hinter den Läufer kommt. Immerhin war ich in der Softball-Mannschaft an der Highschool Shortstop und hab die Regeln gelernt.
    Dennoch blieben ihr die Akteure auf dem Kunstrasen der Spielfläche ein Rätsel, wie sehr sie auch versuchte zu analysieren, was dort vor sich ging.
    Sie wagte einen Seitenblick zu Jeffers. Er schien ganz im Spielverlauf versunken, doch sie wusste, dass diese Anteilnahme andere Dinge verschleiern sollte. Etwas in ihr weigerte sich, konkrete Möglichkeiten ins Auge zu fassen.
    Sie zitterte in der schwülen Luft. Ihr Kopf fühlte sich dumpf an, und sie konnte nur schwer schlucken. Als sie einmal sah, wie er sich zu der Tasche vor seinen Füßen bückte, bekam sie vor Verwirrung plötzlich keine Luft mehr.
    Als die Mannschaften die Seiten wechselten, fragte sie endlich in einem Ton, der ihr hohl in den Ohren klang: »Wieso sind wir hier?«
    Jeffers drehte sich zu ihr um und starrte sie an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Wir sind hier, weil das Amerika ist, das nationale Freizeitvergnügen, das hier sind die Mets und die Cards und der Siegeswimpel steht auf dem Spiel. Aber vor allem sind wir hier, weil ich

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