Der Fotograf
Rennbahn und Tribüne arbeitete sich Jeffers geschickt durch das bunte Gemenge aus Menschen, leuchtenden Farben, Autos und einer konstanten Geräuschkulisse. Er manövrierte sich zwischen der Zuschauermenge und den Mechanikern hindurch und pickte sich junge Frauen, entweder allein oder paarweise, heraus, die er erst aus der Ferne fotografierte, bis er immer näher kam, ihre volle Aufmerksamkeit weckte und sie schließlich so weit hatte, dass sie für ihn posierten. Anne Hampton fasste es nicht, wie viele Schultern sich hoben, Lippen sich schürzten, Köpfe sich zur Profilansicht drehten, wie viele Gesichter Douglas Jeffers’ Kameralinse mit einem perfekten Lächeln grüßten. Sie hörte, wie er immer wieder dieselbe Geschichte auftischte, und sie verteilte dazu die Visitenkarten mit einem blinden Eifer, der ihrem Widerwillen spottete. Er erzählte den jungen Frauen, er komme im Auftrag von
Playboy
; sie planten einen Beitrag über »Rennbahn-Girls«. Er mache Aufnahmen im ersten Durchgang, erklärte er. Er und ein paar Kollegen seien an verschiedenen Orten unterwegs, um junge Frauen bei Rennen zu fotografieren. Anschließend würden die Redakteure in Chicago sich die Bilder ansehen und entscheiden, wen sie für die Doppelseite wählten.
Er wies Anne Hampton an, sich Namen und Telefonnummern einiger Kandidatinnen aufzuschreiben. Sie fügte sich widerwillig; ihr würde übel, wenn sie daran dachte, dass dies alles zu seinem Theater gehörte. Im Hintergrund feuerte die Menge die Wagen und Fahrer an, doch oft wurde der Lärm von der Rennbahn so laut, dass er die Fans übertönte. Als ein besonders riesiger schwarzer Dragster mit seinem Krach die Tribüne beben ließ, riss es die Zuschauer vor Begeisterung von den Sitzen. Doch sie nahm ihre Reaktion kaum wahr,sondern musste plötzlich an den Anblick einer Reihe Fische auf einem Marktstand denken, die mit aufgerissenen Augen und Mäulern, als wären sie noch am Leben, auf einer Eissplitterschicht lagen.
»Boswell«, hörte sie ihn sagen, als der Motorenlärm auf der Strecke etwas leiser wurde, »eine neue Rolle bitte. Meine Damen, das ist meine Assistentin, Anne Boswell. Sag hallo, Annie …«
Sie nickte zwei jungen Frauen zu, die etwa in ihrem Alter zu sein schienen. Eine war blond, die andere brünett, und beide trugen eng anliegende Tanktops zu abgeschnittenen Jeans. Sie fand sie nicht besonders hübsch. Die Blonde hatte offenbar ziemlich krumm gewachsene Zähne, wodurch ihr Lächeln ein wenig schief geriet, während die Brünette eine zu auffällige Himmelfahrtsnase hatte, um als schön durchzugehen. Anne Hampton schätzte, dass die junge Frau eine Mutter hatte, die ihr fortwährend sagte, wie süß sie sei, weshalb ihre Karriere sie wohl im gleitenden Übergang vom Highschool-Cheerleader in den Hafen der Ehe mit folgender Familie nebst Einfamilienhäuschen in Pennsylvania oder Ohio führen würde, wo sie den Abend vor der Glotze verbringen und einmal die Woche in den Schönheitssalon gehen würde, um nach dem Zerstörungswerk des Kinderkriegens ihr Aussehen instandzuhalten. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie ihre eigene Mutter ihr ausgiebig die Haare gebürstet und ihr leise, doch voller Enthusiasmus vorausgesagt hatte, wie schön sie einmal werden würde, was im Alter von zwölf schwer zu glauben war. Sie sah wieder den entsetzten Blick ihrer Mutter vor sich, als sie nach dem ersten Collegesemester nach Hause kam und das Haar nur noch schulterlang trug. Ich habe immer so viel darangesetzt, mich abzugrenzen, dachte Anne Hampton. Selbst als es wieder nachgewachsen war, wirkte esanders. Ein Vertrauensschwund. Eine Stimme drang in ihre Erinnerungen.
»Muss aufregend sein, häh?«
Es war eine der jungen Frauen. Die Blondine.
»Entschuldigung«, erwiderte Anne Hampton. »Ich hab nicht mitbekommen, was du gesagt hast.«
»Ach so«, meinte die junge Frau und machte eine ausladende Handbewegung, »ich hab nur gesagt, es muss aufregend sein, Fotografieassistentin zu sein. Wirklich ein besonderer Job. Ich meine, ich arbeite einfach in der Bank, und das ist nun wirklich nichts Weltbewegendes. Wie bist du da drangekommen?«
»Oh, ich hab sie unter Hunderten von Kandidatinnen ausgesucht«, warf Douglas Jeffers ein. »Und bis jetzt macht sie sich recht gut, stimmt’s, Annie?«
Sie nickte.
»Aha«, machte die junge Frau, »bestimmt ganz schön aufregend.«
»Es ist was anderes«, bestätigte Anne Hampton.
Die Brünette schaute sich eine von Jeffers’ Kameras
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