Der Fotograf
dieses Mannes, der vermisst wird …« Sie zeigte ihr das Bild von Douglas Jeffers. »Wir wüssten gerne, ob Sie ihn vielleicht gesehen haben?«
Die Frau war sichtlich überrascht, an einem heißen Samstagvormittag eine Kripobeamtin vor sich zu haben.
»Nein«, antwortete sie. »Wieso? Wieso sollte ich den gesehen haben? Ist was passiert?«
»Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten«, log Detective Barren. »Der Herr, der mit meinem Partner hier verwandt ist, hat einmal in dieser Gegend gewohnt. Da er vermisst wird, hatten wir gedacht, dass es ihn vielleicht dorthin gezogen hat, wo er aufgewachsen ist. Weiter nichts, kein Grund zur Sorge. Und das war auch nur eine vage Vermutung.«
»Ach so«, meinte die Frau, als sei Detective Barrens Mischung aus Wahrheit und Lüge eine befriedigende Antwort auf ihre Frage, statt Anlass für tausend neue Fragen. »Ach so«, wiederholte sie. Sie warf einen zweiten Blick auf das Foto. »Tut mir leid, den haben wir nicht gesehen.«
»Lass mal sehen«, rief der Junge.
»Nein«, entgegnete die Mutter, »Billy, lass das bitte.«
»Ich will es aber sehen!«, quengelte das Kind.
Die Mutter sah Detective Barren an.
»Wird Zeit, dass sein Spielkamerad kommt«, sagte sie.
Die Polizistin beugte sich zu Billy herab und zeigte ihm die Aufnahme.
»Hast du den schon mal gesehen?«, fragte sie.
Das Kind betrachtete das Foto eingehend.
»Ja. Der könnte hier gewesen sein.«
Detective Barren spannte sämtliche Muskeln an und merkte, wie Martin Jeffers unwillkürlich einen Schritt näher kam.
»Billy!«, wies ihn die Mutter zurecht. »Das ist eine ernste Angelegenheit, das ist kein Spiel!«
»Vielleicht hab ich ihn gesehen«, beharrte das Kind. »Vielleicht war der hier.«
»Billy.« Detective Barren blieb ruhig und freundlich. »Wo hast du den gesehen?«
Das Kind wedelte mit der Hand Richtung Straße.
»Hat er etwas gesagt? Was hat er getan?«
Augenblicklich war der Junge schüchtern.
»Nichts.«
»Hast du einen Wagen gesehen? Oder war jemand bei ihm?«
»Nö.«
»Wann war das?«
»Eine Weile her.«
»Und was passierte dann?«
»Nix. Vielleicht hab ich ihn gesehen, weiter nix.«
Detective Barren hörte das Knirschen von Reifen auf dem Kies hinter ihr. Sie sah das Leuchten in den Kinderaugen.
»Sie sind da!«, rief Billy seiner Mutter zu. »Sie sind da. Kann ich bitte raus?«
Die Mutter sah Detective Barren an, die sich aufgerichtet hatte, und nickte. »Sicher«, meinte die Frau. Das Kind stürzte an Detective Barren und Martin Jeffers vorbei aus dem Haus.
Seine Mutter trat ebenfalls aus der Tür und sah ihrem Kind und seinem Freund dabei zu, wie sie anfingen zu spielen. Sie winkte der anderen Mutter am Steuer des Allerweltskombis zu. »Ich weiß nicht, ob Sie das unbedingt für bare Münze nehmen sollten …«, fing sie an.
»Keine Sorge«, unterbrach sie Detective Barren. »Das tue ich nicht. Ich glaube nicht, dass er jemanden gesehen hat.«
»Ich auch nicht«, stimmte die Mutter zu.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte Detective Barren. Sie und Martin Jeffers gingen zu seinem Wagen zurück. Sie blieb noch einmal stehen und winkte dem Jungen zu, der jedoch so sehr in das Spiel mit seinem Freund vertieft war, dass er sie nicht sah.
Im Wagen hakte Martin Jeffers nach: »Was glauben Sie wirklich?«
Sie zögerte einen Moment.
»Ich glaube nicht, dass er hier gewesen ist.«
»Ich auch nicht«, meinte er.
Beide schwiegen.
»Vielleicht doch«, räumte er ein.
»Vielleicht.«
Wieder Schweigen.
»Ich glaube, er war hier«, sagte er.
»Ich auch«, bestätigte Detective Barren.
Martin Jeffers nickte und legte den Gang ein. Er hatte durchaus registriert, wie sie, ohne mit der Wimper zu zucken, die Mutter belogen hatte. Dann wendete er behutsam und ließ das Haus und den möglichen Besuch des Gejagten zusammen mitsamt den unausgesprochenen Erinnerungen hinter sich.
Auf ihrem weiteren Weg nach New Hampshire schwiegen sie die meiste Zeit, und nur die Geräusche von der Straße drangenin ihre Gedanken. Sie machten ein paar Anläufe, Konversation zu treiben. Kurz hinter New Haven fragte Martin Jeffers: »Sind Sie verheiratet, Detective?«
Sie überlegte, ob sie lügen und ihn im Dunkeln belassen sollte, dann zuckte sie innerlich die Achseln und kam zu dem Schluss, es sei nicht der Mühe wert.
»Nein, verwitwet.«
»Oh, tut mir leid.« Das entsprach dem Gebot der Höflichkeit.
»Ist schon lange her. Ich habe jung geheiratet, und er ist im Krieg
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