Der Fotograf
Neunmillimeter hineingesteckt. Zum Schluss hatte sie das Selbstporträt genommen, das Douglas Jeffers im Dschungel gemacht hatte, und zwei zusätzliche Ladestreifen eingesteckt.
Martin Jeffers hatte darauf bestanden, dass sie mit seinem Wagen fuhren, was ihr recht sein sollte. Vermutlich ging es ihm um das illusorische Gefühl, Herr der Lage zu sein, als ob er diese Exkursion leitete, nur weil er am Steuer saß. Sie erklärte sich augenblicklich einverstanden und sah darin die Chance, ein wenig zu entspannen, Kräfte zu sammeln und vielleichtsogar zu schlafen, während er durch das Fahren weiter ermüdet würde.
Nach dem Wiedersehen mit der alten Drogerie ließen sie die Stadt hinter sich, und es dauerte nicht lange, bis sie über schmale, gewundene, von Bäumen gesäumte Landstraßen fuhren. Nach einer Weile kamen sie zu einer kleinen Häusergruppe, die zwischen den Farmen ringsum unpassend wirkte. Er hielt an und zeigte mit dem Finger darauf.
»Von hier aus das dritte. Der Familiensitz. Bin seit zehn Jahren nicht mehr hier gewesen.«
Sie blickte auf ein bescheidenes, properes, dreistöckiges Holzständerhaus in Grauweiß mit einem gepflegten, saftig grünen Rasen, einer Garage und einem ausländischen Wagen davor.
»Als wir hier wohnten«, fuhr Martin Jeffers fort, »war es braun gestrichen. Ein stumpfes, hässliches Dunkelbraun. Innen war es nicht besser als außen; es war phantasielos. Es war nie behaglich, offen und gastfreundlich, so wie es sich Kinder wünschen. Es war immer unfreundlich und düster.«
»Aber es war immerhin ein Zuhause. Sie standen nicht wie andere Kinder auf der Straße.«
Er zuckte die Achseln. »Die äußeren Faktoren werden häufig überschätzt. Das Entscheidende für Kinder sind die inneren Faktoren.«
»Wie meinen Sie das?«
»Liebe. Lebendiger Umgang. Zuneigung. Stolz. Rückhalt. Damit kann man sogar unter den widrigsten Umständen überleben, ja sogar gut gedeihen. Ohne diese Voraussetzungen nützen Familie, Geld, Bildung und Kinderbetreuung herzlich wenig. Das Ghettokind, das Schule und Universität schafft und es zum Anwalt bringt. Das Kennedy-Kind, das an einer Überdosis Drogen stirbt. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja«, erwiderte sie. Sie dachte an ihre Nichte, und eine Sekundelang verkrampfte sich ihr das Herz. Sie schüttelte das Gefühl ab, indem sie eine Frage stellte: »Sie sagten, Ihre beiden Adoptiveltern wären tot?«
»Ja«, antwortete Martin Jeffers. »Unser Adoptivvater starb bei einem Unfall, als wir Teenager waren, und unsere Adoptivmutter starb vor drei Jahren – eines natürlichen Todes, wie es so schön heißt, worunter in ihrem Fall Alkohol, zu viele Beruhigungsmittel, Fastfood, Rauchen und Bewegungsmangel zu verstehen sind, und ein Herz, das von all diesem Mist zu belastet war, um ihn länger zu verkraften. In Wahrheit also ein ganz und gar unnatürlicher Tod.«
»Wo sind sie begraben?«
»Sie wurden beide eingeäschert. Leuten wie ihnen errichtet man kein Denkmal. Es sei denn, man hätte völlig den Verstand verloren …« Er verstummte bei dem Gedanken, dass sein Bruder auf eine verquere, psychisch kranke Art und Weise genau das tat.
Detective Barren nahm diese Informationen zur Kenntnis und speicherte sie ab, während sie das Haus betrachtete.
Da haben wir ein Denkmal, dachte sie, und ihr kam eine Idee.
»Warten Sie einen Moment«, bat sie.
»Vergessen Sie’s«, gab er zurück.
Sie stiegen beide aus und gingen zur Haustür.
Detective Barren klingelte. Nach wenigen Sekunden hörte sie drinnen Schritte und eine Kinderstimme: »Ich geh schon! Ich geh schon! Das ist bestimmt Jimmy!« Die Tür flog auf, und sie hatte einen flachsblonden, fünf oder sechs Jahre alten Jungen vor sich. Er warf einen enttäuschten Blick auf sie und Martin Jeffers, drehte sich um und brüllte: »Mom! Das sind Erwachsene!« Es klang, als fühlte er sich betrogen. Dann wandte er sich wieder den Fremden zu und sagte: »Hi.«
»Ist deine Mom oder dein Dad zu Hause?«, fragte Detective Barren.
Bevor das Kind antworten konnte, hörte sie hastige Schritte, und eine Frau etwa in ihrem Alter erschien verlegen in Jeans und mit einem Spaten in der Hand.
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich und wischte sich über die Stirn. »Ich war hinten im Garten, und wir erwarten einen Spielkameraden. Was kann ich für Sie tun?«
»Hallo«, begrüßte Detective Barren sie und hielt ihre goldene Dienstmarke hoch. »Ich bin Detective Mercedes Barren. Wir ermitteln im Fall
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