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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sich um mich kümmern, keine Sorge, er wäre immer für mich da. Ich weiß nicht, wie ernst er das meinte, aber seine Worte klangen wunderbar beruhigend. Ich glaube, in der Nacht hatte ich Angst, ich würde sterben, bis er mich bei der Hand nahm …«
    Die Sonne verblasste, und die abendlichen Schatten legten sich über Martin Jeffers’ Erinnerungen.
    Das bedeutet Kindheit, dachte Detective Barren: Man sucht Zuflucht von einer Angst nach der anderen, bis man stark, alt und klug genug ist, um aus eigener Kraft gegen die Ängste anzugehen. Aber einige davon wird man nie los.
    Sie betrachtete Martin Jeffers. Er starrte an dem Gebäude hoch.
    »Er ist mein Bruder«, bekräftigte er. »Jetzt sind wir erwachsen, und er tut diese schrecklichen Dinge, und ich muss dafür sorgen, dass er aufhört. Aber in der Nacht damals hat er mir das Leben gerettet. Ich weiß es.« Martin Jeffers drehte sich um. »Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen«, drängte er, »bloß weg.«
    Er packte sie am Arm und zog sie die Treppenstufen herunter. Sie leistete keinen Widerstand.
    »Fahren wir. Nach New Jersey zurück, jetzt«, fügte er hinzu.
    Sie sagte nichts, sondern nickte nur stumm. Sie sah, wie sein Gesicht erneut von Schmerz und Gewissensqualen zermartert wurde. Einen Moment lang wurde sie doppelt traurig – aus Mitleid mit dem im Stich gelassenen Kind, das für den Rest seines Lebens die verlorene Mutter suchte, und aus Mitleid mit dem erwachsenen Mann, den die schreckliche Erkenntnis fast zerriss. In diesem Moment bedauerte sie, dass sie Martin Jeffers unter so fürchterlichen Umständen kennengelernthatte, unter anderen Umständen hätte sie ihn früher oder später gerngehabt. Für einen Augenblick bemitleidete sie sich selbst. Doch sie schüttelte die Empfindungen ab und nahm ihren Platz im Wagen ein.
    Es tut mir leid, Martin Jeffers, dachte sie im Stillen. Es tut mir schrecklich leid, aber du führst, ich folge dir. Du führst mich zu deinem Bruder.
    Das würde er tun, da war sie sicher. Doch im selben Moment, als Jeffers sich von dem Gebäude abwandte und den Kopf schief hielt, damit sie seine Tränen nicht sah, und sich hinters Lenkrad warf, wusste sie auch, dass er seinen Bruder nie verraten würde.
     
    Kurz vor Mitternacht, gegen Ende einer weiteren wortlosen Fahrt, überquerten sie die George Washington Bridge und ließen New York City mit dem nie erlöschenden Lichtermeer links liegen. Detective Barren hatte die Augen geschlossen, und Martin Jeffers glaubte, dass sie schlief. Er manövrierte sich durch den immer noch dichten nächtlichen Verkehr. Vor ihm tauchte eine ganze Phalanx grüner Schilder aus dem Dunkel auf, die in ein Dutzend verschiedener Richtungen wiesen, und er musste daran denken, wie viele Menschen, Maschinen und Autobahnen auf diese Brücke zustrebten: Route 4, 46 und 9W, der Palisades Parkway und das breite Band der Interstate 95 in nordsüdlicher Richtung sowie das ebenso starke schwarze Band der Interstate 80 von Ost nach West. Die Lichter der entgegenkommenden Fahrzeuge blendeten ihn, ein kurzes Aufblitzen, dann waren sie verschwunden. Wenn er auf die Spuren der entgegengesetzten Fahrbahn schaute, konnte er die Autos kaum erkennen, und plötzlich kam ihm der seltsame Gedanke, dass sein Bruder irgendwo da draußen war. Er kann überall sein, aber ich weiß, dass er hier ist. Erkönnte eins von den Lampenpaaren sein, an denen er vorüberkam. Das da oder das oder das, aber eins davon ist er. Er hätte ihm am liebsten etwas zugerufen, konnte es aber nicht. Ich weiß es. Bitte.
    Dann schüttelte er den Kopf, um den Gedanken abzuschütteln. Er machte sich klar, wie lächerlich die Vorstellung war und dass er zu müde und zu erschöpft war, um klar zu denken. So fuhr er weiter, ohne zu ahnen, dass er richtiglag.

12. KAPITEL
Noch eine Fahrt nach New Hampshire
     
17.
    Er hatte die Stricke zu fest geschnürt, und das Nylon schnitt ihr äußerst schmerzhaft in die Handgelenke. Nachdem sie gemerkt hatte, dass der Strick ihr jedes Mal, wenn sie daran zog oder die Hände verdrehte, das rohe Fleisch wundrieb, hatte sie es aufgegeben, dagegen anzukämpfen. Sie versuchte, das Pochen bis in die Arme hinauf zu ignorieren und etwas Schlaf zu finden, doch immer, wenn sie die Lider schloss, sah sie nur den rotglühenden Schmerz, vor dem es kein Entrinnen gab. Und so blieb sie hellwach, obwohl sie die Grenze der völligen physischen und psychischen Erschöpfung weit hinter sich gelassen hatte. Auch der Knebel in ihrem Mund

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