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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Herzen etwas vor.
    »Vielleicht ist er nicht da«, sagte Martin Jeffers laut. »Vielleicht blamiere ich mich nur, wenn ich an die Tür von Feriengästen klopfe, die mich für verrückt halten müssen, und das war’s dann auch.«
    Martin Jeffers verschwand hinter den Gedanken an seinen Bruder. Ihm war fast schwindelig von den widerstreitenden Gefühlen: einerseits wollte er seinen Bruder stellen und andererseits hoffte er, es bliebe ihm erspart.
    Es war vollends Nacht geworden, und er fühlte sich so allein wie seit jener Nacht in New Hampshire vor über drei Jahrzehnten nicht mehr.
     
    Detective Mercedes Barren blieb wie angewurzelt auf der Treppenstufe vor Martin Jeffers’ Wohnung sitzen, bis es dunkel wurde.
    Sie kämpfte mit ihren eigenen Erinnerungen: an ihren Mann, ihre Nichte. Sie hatte ein Bild von Susan vor Augen, aber nicht von der Susan, die man stranguliert und vergewaltigt im Dickicht des Naturparks gefunden hatte, sondern von der Susan, die zum Abendessen zu ihr kam, die laute Musik anmachte und dazu durch die Wohnung tanzte, der Susan, die kaum wusste, wohin mit ihrer überschießenden Lebenskraft. Das Bild verblasste, und sie sah das kleine Mädchen vor sich,ganz in Rosa gekleidet und mit Schleifchen geschmückt, das ihr zur Begrüßung entgegenrannte und ihr wenigstens für einen Moment das Gefühl gab, dass sie rückhaltlos geliebt wurde und dass die Welt in Ordnung war. Sie dachte an John Barren. Sie dachte an John Barren, der mitten in der Nacht zu ihr herüberrollte und Zärtlichkeiten schenkte, und dann das vertraute, warme Gefühl, ihn in sich zu spüren. Hätte ich es nur geahnt, dachte sie, hätte mir nur jemand gesagt: Genieße jeden Augenblick, denn eure Zeit ist kurz.
    Sie sah sich selbst als Kind, an der Hand ihres Vaters.
    Sie starrte auf die dunkle Tür zu Martin Jeffers’ Wohnung. Also, forderte sie sich auf, benutze ein bisschen von der Logik deines Vaters. Es ist das Einzige, was er dir vermachen konnte. Sie hat dir schon des Öfteren geholfen. Was würde er tun?
    Gut, fing sie an, gehen wir es ganz schlicht und einfach an.
    Er hat gesagt: Treffen wir uns bei mir.
    Gelogen.
    Eine prächtige Lüge, musste sie denken. Harmlos, gutartig, besonders die Sache mit den Sandwichs. Er hatte die Vertrautheit der letzten Tage gegen sie benutzt.
    Aber wo hatte die Lüge angefangen?
    Sie ging noch einmal ihr letztes Treffen in seinem Sprechzimmer durch. Er ließ sich nicht anmerken, dass irgendetwas anders war, doch das war offensichtlich der Fall. Er hatte keine Anrufe und auch keine Post bekommen. Ebenso war er eindeutig nicht erst zu Hause gewesen und hatte dann beschlossen, wegzufahren. Die Entscheidung musste vielmehr bereits gefallen sein, bevor sie in seinem Büro zusammensaßen. Sie spielte die Situation noch einmal durch. Nein, da hatte er nichts von Douglas Jeffers gehört.
    Also musste es etwas sein, das ihm wieder eingefallen war.
    Sie lehnte sich in der Dunkelheit zurück und überlegte angestrengt.
    Er hatte erst Einzelsitzungen und dann diese verdammte Perversengruppe gehabt. Dann ist er in sein Büro zurückgekommen und hat angefangen zu lügen, und danach ist er verschwunden. Sie saß plötzlich kerzengerade und stand auf. Sie fing an, im Eingangsflur auf und ab zu laufen, während sie sich mit aller Macht konzentrierte. Durch diese Fokussierung fiel die Müdigkeit von ihr ab, und sie merkte, wie ein Adrenalinstoß ihr frische Kräfte verlieh. Zurück zu deinem Fall, dachte sie. Du arbeitest wieder an deinem Fall. Gehe wie eine Polizistin vor, verflucht noch mal. Auch wenn du jetzt zwei Leute jagst.
    »Also gut«, sagte sie laut. »Fang in der Anstalt an. Bei den Patienten, mit denen er zu tun gehabt hat. Besorg dir eine Liste von seiner Sekretärin. Wenn sie sich weigert, sie dir zu geben, musst du sie eben stehlen.«
    Diese letzten Worte hallten durch den Flur.
    Sie atmete heftig ein. Wieder sah sie ihre Nichte, ihren Mann, ihren Vater. Sie lächelte und schob die Gedanken aus ihrem Kopf. An die Arbeit, befahl sie sich. Die Bilder ihrer toten Verwandten ersetzte sie durch die von Martin und Douglas Jeffers.
    Ich komme, dachte sie. Ich bin immer noch hinter euch her.
     
    Die erste blasse Morgendämmerung wehte über den Bug der Fähre, und Martin Jeffers stand in der morgendlichen Kälte. Er zog die Aufschläge seines Arztkittels hoch und trotzte der Brise. Meilenweit nichts als graugrün glitzernder Ozean. Er drehte sich in den Wind und sah, wie in der Ferne die Insel

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