Der Fotograf
auftauchte. Er sah die an der Küste aufgereihten schmucken Sommerresidenzen und dann, noch ein Stück weiter weg,schimmernd weiß die Anlegestelle Vineyard Haven, die die Fähre ansteuerte. Die Sonne spiegelte sich auf einer Reihe Treibstofftanks in der Nähe des Piers. Im Hafenbecken selbst schaukelten Dutzende Segelboote an ihren Liegeplätzen. Er dachte an das leise Klatschen kleiner Wellen am Rumpf eines Segelbootes.
Die Fähre glitt zügig durch die morgendliche See. Als sie fast den Anleger erreicht hatte, ließ sie heiseres Dröhnen erschallen. Martin Jeffers sah, wie einige der Passagiere bei dem Laut zusammenzuckten.
Die Fähre kam mit einem Ruck zum Stillstand, und die riesigen Dieselmotoren hievten den Bug auf den Pier. Als die Gangways heruntergelassen wurden und die Passagiere sich anschickten, von Bord zu gehen, herrschte einen Moment Stille. Martin Jeffers drängte sich durch die Menge der Frühaufsteher. Die Schlange der Fahrzeuge, die auf die Fähre wollten, reichte bis auf die Straße. Es erinnerte Jeffers daran, dass der Sommer fast zu Ende war: Die Fähre, die ihn zur Insel brachte, war ziemlich leer. Auf dem Rückweg zum Festland würde sie sich füllen.
Er verließ das Schiff und ging über den Ladebereich, am Fahrkartenverkauf vorbei. Es ist noch so wie damals, dachte er, aber auch wieder anders. Mehr Häuser, neue Geschäfte, ein neuer Parkplatz, aber dennoch im Prinzip wie vor all den Jahren.
Ich dachte, ich würde nie wieder herkommen.
Er versuchte, die Jahre zu zählen, gab aber auf. Er wusste, dass das Haus noch da sein würde, genauso wie damals, am Teich, auf der anderen Seite des Insel. Er ließ den Blick über die Menschen und Fahrzeuge schweifen. Es ist zweifellos immer noch wild und einsam. Es ist sicher noch so wie früher.
Dieser Schluss basierte nicht so sehr auf Tatsachen wie auf dem überwältigenden Gefühl der Vertrautheit.
Es war, dachte er, der beste schlimmste Ort.
Er dachte an das, was die Lost Boys ihm geraten hatten. Er war an den Ort zurückgekehrt, an dem er ihrer Meinung nach suchen musste.
Suchen Sie nach einem Tod.
Nun denn, sagte er sich, da bin ich.
Er lief eilig über die Straße zum Mietwagenverleih der Insel und warf jeden überflüssigen Gedanken über Bord, bis nur noch die hartnäckige Sorge blieb, er könnte recht behalten.
Der Angestellte aß gerade einen Doughnut und schlürfte an seinem Kaffee. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Martin Jeffers. Ich habe gestern Abend bei der Spätschicht einen Wagen reserviert.«
»Ja, hab heute früh den Zettel von meinem Kollegen gefunden. Auf der ersten Fähre, ja? Sie sagen, Sie brauchen den Wagen für ein paar Tage, richtig? Kurzurlaub?«
»Nein, geschäftlich. Könnte schnell erledigt sein, könnte sich aber auch ein bisschen hinziehen.«
»Wir müssten den Wagen nur bis Freitag zurückhaben. Labor-Day-Wochenende, wissen Sie. Alles ausgebucht. Bis zur letzten Nuckelpinne.«
»Kein Problem«, log Jeffers.
»Haben Sie für die Unterlagen eine Anschrift auf der Insel?«
Er zögerte. »Sicher. Chilmark. Draußen am Quansoo. Tut mir leid, kein Telefon.«
»Aber der beste Strand.«
»Kann man wohl sagen.«
»Ich bin nicht allzu oft da unten«, erzählte der Mann, während er das Formular ausfüllte. »Bin kein großer Schwimmer, deshalb machen mir die Wellen und die Unterströmung eine Heidenangst. Die Surfer lieben es da natürlich. Sie sind aber kein Surfer, oder?«
»Nein.«
»Gut. Die Jungs mieten ständig unsere Autos und versuchen, damit auf den Strand rauszufahren, dann bleiben sie stecken, und am Ende ist das Getriebe und sonst was im Eimer.«
Der Mann nahm ein Schlüsselbund, das hinter ihm an der Wand hing. »Brauchen Sie eine Karte?«, fragte er.
»Nein, es sei denn, es hätte sich in den letzten Jahren stark verändert.«
»Tut es doch immer. So ist das Leben nun mal. Die Straßen aber nicht, falls Sie das meinen.« Damit schob der Angestellte Martin Jeffers ein Formular zur Unterschrift hin. »Alles klar. Es ist der weiße Chevy direkt vor der Tür. Bringen Sie ihn bitte vollgetankt zurück, okay? Vor Freitag.«
»Also, bis dann.«
Martin Jeffers fuhr los und kämpfte sich durch den immer dichter werdenden morgendlichen Verkehr. Ihm wurde bewusst, dass seine Pläne lediglich bis zu dem Punkt führten, an dem er vor dem Haus vorfuhr und klingelte. Was willst du den Feriengästen sagen?, fragte er sich. Was willst du ihnen erzählen? Entschuldigen Sie, Madam oder Sir, aber Sie haben
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