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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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phantasievolle Bezeichnung für das Anwesen, aber eine treffende. Er blickte über das Seegras, das die Fläche bis zum Grundstück des alten Johnson überzog und sich nun in einer Brise wiegte, und erinnerte sich, wie er durch das Gras gerannt war, so dass ihm die scharfen Ränder der Halme in die Haut schnitten. Er hatte es ignoriert und alles darangesetzt, mit seinem Bruder Schritt zu halten. Er schloss die Augen und spürte die heiße Sonne auf Kopf und Schultern. Einen Moment lang kam er sich vollkommen töricht vor, dann geriet er für Sekunden in Panik. Er wäre am liebsten wieder ins Auto gestiegen und weggefahren. Er ist nicht da, dachte er. Er ist unauffindbar, irgendwo in Amerika, und tut schreckliche Dinge. Er ist für immer verschwunden. Dreh dich einfach um und denk nie wieder an ihn.
    Er wusste, dass das unmöglich war, und öffnete die Augen.
    Du hast es bis hierher geschafft, ohne umzukehren, dann kannst du dich ebenso gut vollends zum Deppen machen.
    Er ging zur Haustür und klopfte laut an.
    Tut mir leid, probte er schon mal in Gedanken, hoffentlich habe ich niemanden aus dem Bett geholt. Drinnen hörte er Schritte, dann öffnete sich die Tür.
    Es war eine junge Frau, hübsch, Anfang zwanzig, schätzte Jeffers, mit blondem Haar, das sich von ihrem schwarzen Arbeitsoverall abhob.
    »Entschuldigen Sie«, fing Martin Jeffers an. Er fand ihre Kleidungfür einen Sommermorgen ungewöhnlich, doch ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. »Ich weiß, es ist früh, und es tut mir furchtbar leid, Sie zu belästigen, aber …«
    Weiter kam er nicht.
    Die junge Frau starrte ihn mit aufgerissenen Augen an, als sei sie von seiner Erscheinung schockiert. Er sah, wie sie sein Gesicht genau studierte.
    »Es tut mir leid …«, setzte er wieder an.
    »Aber wieso denn?«, erhob sich eine schreckliche, spöttische, durch und durch vertraute Stimme hinter ihm.
     
    Die Lost Boys versammelten sich nach und nach im sonnendurchfluteten Tagesraum und nahmen ihre gewohnten Plätze ein. Das taten sie, ohne nachzudenken und um den Zeitplan der Anstalt einzuhalten, der ihnen sagte, dass sie zu ihrer Therapiesitzung in diesem Moment in diesem Raum zusammenkommen mussten. Abweichungen von der täglichen Routine wurden nicht geduldet. Also gingen sie hinein, auch wenn sie wussten, dass heute an Routine von vornherein nicht zu denken war. Sie waren alle genügend mit der Bürokratie vertraut, um zu begreifen, dass es zwar keine Sitzung geben würde, dass sie aber trotzdem zu erscheinen hatten, bis sie ausdrücklich weggeschickt wurden. Sie wussten, dass Martin Jeffers nicht da sein würde, denn das hatte er ihnen selbst gesagt. Sie wussten, dass ihre Zusammenkunft darin bestehen würde, nebeneinanderzusitzen, während ein anderer Arzt die Gruppe als Vertretung übernahm. Ebenso wussten sie, dass sie dem neuen Arzt nichts erzählen würden.
    Sie warteten, rauchten und redeten leise miteinander, während sie mit einiger Neugier darauf warteten, was passierte.
    Sie waren bis auf den letzten Mann schockiert, als Detective Barren hereinspazierte.
    Kaum hatte sie den Raum betreten und die Männer zum Verstummen gebracht, ließ sie den Blick mit steinerner Miene über die Runde schweifen. Das sind meine natürlichen Feinde, dachte sie. Sie spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam.
    Absolut kein Laut war zu hören.
    Sie wartete einen Moment, dann ging sie zu einem Stuhl vor der Gruppe. Sie fühlte aller Blicke auf sich gerichtet. Die Männer wussten zwar nicht, wer sie war, doch Detective Barren spürte sofort, dass die Lost Boys ihr vom ersten Augenblick an einen abgrundtiefen Hass entgegenbrachten.
    Und sie ihnen.
    Sie drehte sich zu der Gruppe um.
    Langsam und mit einer übertriebenen Geste griff sie in ihre Tasche und zog ihre goldene Dienstmarke heraus. Sie hielt sie in die Höhe, so dass alle sie sehen konnten. Sie blitzte in der Sonne auf.
    »Ich heiße Mercedes Barren«, stellte sie sich in festem Ton vor. »Detective. Kripo Miami.«
    Sie legte eine Pause ein.
    »Hätte ich in Ihren Fällen ermittelt, wären Sie für lange Zeit hinter Gitter gekommen.«
    Sie sagte das in sachlich kühlem Ton.
    Die Männer im Raum blieben still.
    Sie hegte kaum Zweifel daran, dass sie ihre Worte auf sich wirken ließen. Und jetzt, dachte sie, verpass ihnen einen Tritt vors Schienbein.
    »Ihr regulärer Gruppenleiter ist Dr. Martin Jeffers. Er hat die Anstalt gestern Nachmittag plötzlich verlassen, kurz nach dem Treffen mit Ihnen …«
    Sie

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