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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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wohl nicht zufällig einen Mann gesehen, der meiner Wenigkeit ähnlich sieht und eine Blutspur hinter sich herzieht?
    Was kannst du anderes sagen als die Wahrheit?
    Das war ein Ding der Unmöglichkeit, wurde ihm klar. Diese Wahrheit war so weit von der Normalität entrückt, dass sie an einem spätsommerlichen Tag, morgens um acht, zwischen einem gemütlichen Frühstück und dem Aufbruch zum Strand, niemand begreifen würde.
    Dann sag ihnen doch einfach, er ist verschwunden und du versuchst, ihn zu finden. Sag ihnen, er litte an Bewusstseinsspaltung und schwanke zwischen zwei Erinnerungspolen hin und her, nicht ganz klar im Kopf. Versichere ihnen, er seiharmlos. Behaupte, du machst dir Sorgen. Erzähl ihnen irgendwas.
    Jede Version, die er sich zurechtlegte, klang gleichermaßen weit hergeholt.
    Sag ihnen einfach, du suchst deinen Bruder und ihr hättet mal in diesem Haus gewohnt, deshalb hättest du gedacht, er könnte vielleicht dort sein.
    Sag ihnen, was sie hören wollen.
    Das wird schlechterdings nicht möglich sein, räumte er ein.
    Dabei wurde ihm bewusst, dass eine peinliche Situation wohl bei weitem das geringste Übel war, mit dem er rechnen musste.
    Die Sonne stand höher, und er fuhr im lichtgesprenkelten Schatten der Bäume über Land. Er ließ sich von seinem Unterbewusstsein leiten. Die Entfernungen schienen seltsam verändert, zuerst größer, dann kleiner. Er sah Häuser, an die er sich erinnern konnte, und andere, die neu für ihn waren. Es freute ihn, dass der Gebrauchtwarenladen in dem winzigen Nest West Tisbury unverändert war. Er ließ ihn hinter sich und bog in die nächste Abzweigung ein.
    Er fuhr weiter auf altvertrauten Pfaden. Das Krankenhaus liegt irgendwo in dieser Richtung, dachte er. Aber wir hatten es nicht eilig, weil es keine Hoffnung mehr gab.
    Er erkannte die große sandige Einfahrt zu der Straße, die er suchte, auf der rechten Seite und fuhr langsamer. Er war überrascht, dass er sie gefunden hatte, und ebenso erstaunt, dass sie noch so aussah wie damals.
    Er zögerte nur einen kurzen Moment, bevor er die Abzweigung nahm und weiterfuhr. Auf dem unbefestigten Weg wurde der Mietwagen durchgeschüttelt, und er hörte, wie die Brombeerbüsche an der einen Seite den Lack zerkratzten. Er erinnerte sich daran, wieso man den Weg in diesem Zustandbeließ: Die Leute, die dort unten wohnten, wollten sich neugierige Touristen vom Halse halten. Er stieß auf eine Unebenheit und hörte, wie er mit dem Unterboden heftig auf Gesteinsbrocken aufschlug. Vor denen musste man sich schon immer in Acht nehmen, dachte er.
    Er war mehrere Meilen weit gefahren, als er die farbigen Wegweiser erreichte. Er beachtete sie kaum; selbst nach so vielen Jahren wusste er, welchen Pfad er nehmen musste. Er fühlte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, während er zwischen den überhängenden Ästen weiterfuhr.
    Ich hätte nie gedacht, dass ich noch mal herkommen würde, dachte er zum tausendsten Mal.
    Er ließ die Bäume hinter sich und sah den Teich links von der Straße. Am Horizont konnte er gerade noch das Glitzern der Sonne auf dem Ozean erkennen. Auf dem Teich glitt bereits ein halbes Dutzend leuchtende, dreieckige Segel Richtung Strand. Er spähte zu einem Farmhaus ein paar hundert Meter hinter dem Teich hinüber. Der alte Johnson, dachte er schmunzelnd. Der alte Bastard. Ob er immer noch auf Jugendliche schießt, die über die Sanddünen fahren? Er hielt an und kurbelte das Fenster herunter. In der Ferne hörte er die Brandung, und er fragte sich, wie ein so heftiges, unablässiges Geräusch so besänftigend sein konnte.
    Er blickte geradeaus und entdeckte das Haus am Weg.
    Der beste schlimmste Ort.
    Er schloss die Augen und versuchte, sich eine Erklärung zurechtzulegen, kam aber zu dem Schluss, dass er sich einfach auf die Inspiration des Augenblicks verlassen musste. Am wichtigsten ist es, dachte er, offen und freundlich und nicht bedrohlich zu wirken. Sorg einfach dafür, dass du einen Fuß in die Tür bekommst, und dann sehen wir weiter.
    Er fuhr die letzten hundert Meter und bog in eine kleine Einfahrtab. Er stieg aus und starrte auf das Haus. Er registrierte, dass es neue graue Schindeln hatte, ein paar Fenster schienen ausgetauscht worden zu sein. Es war ein niedriges, eingeschossiges Gebäude im alten Cape-Stil, mit dem Eingang zur Straße und der Rückseite zum Teich und zum Meer.
    Finger Point, dachte er. Die Landzunge ragt in den Teich hinein und weist Richtung Meer. Nicht gerade eine

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