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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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dass er plötzlich aufspringt und abhaut.« Das war Parker.
    »Er hat sowieso alles komplett verdreht«, brummte Miller. »Er war sich nicht sicher, nach was für einer Art Erinnerungen er sucht. Wir mussten ihm klarmachen, wie unsereins tickt.
    Also haben wir ihm gesagt, er soll nach der schlimmsten Erinnerung suchen, weil das für jemanden wie uns die beste ist.«
    »Was genau haben Sie gesagt?« Detective Barren lehnte sich vor.
    »Verflucht, woher sollen wir das jetzt noch wissen? Wir haben ’ne Menge erzählt.«
    »Schon, aber eine bestimmte Sache, die Sie erwähnt haben, hat ihn auf etwas gebracht.«
    Die Männer fingen wieder alle gleichzeitig zu reden an.
    »Wir haben viel gesagt«, beharrte Miller.
    »Ach, kommen Sie schon, verdammt! Was wurde gesagt?«
    »Er wollte wissen, was passiert ist, damit wir uns frei gefühlt haben, Sie wissen schon, um zu tun, was wir eben tun.«
    »Was?«
    »Er hat uns gefragt, wodurch wir angefangen haben. Sie wissen schon. Wie es kam, dass wir es zum ersten Mal tun konnten.«
    Sie holte tief Luft und stellte fest, dass das ganz und gar logisch klang. Er hatte nach dem Schlüssel, dem Auslöser gefragt. Und er hatte ihn bekommen.
    »Also, was genau haben Sie geantwortet? Was?«
    Die Männer starrten sie wütend an. Sie spürte die Intensität, mit der sie sie hassten, nicht nur als Polizistin, sondern auch als Frau. Sie erwiderte ihre Blicke und legte alle Kraft hinein, die sie aufbieten konnte.
    Die Stille war wie ein Ölfilm, der sich über alles legte.
    Sie hätte schreien können.
    Sagt es mir endlich, kommt schon!, brüllte sie innerlich.
    »Ich weiß es«, erklang eine tiefe Stimme von ganz hinten. Es war Pope.
    Sie beugte sich vor und sah ihn an. Da haben wir einen wahrlichbeängstigenden Menschen, dachte sie. Sie sah den Mann plötzlich vor sich, wie er sie packte und ihre Kleider zerriss. Sie fragte sich, für wie viele Frauen dieser Alptraum Wirklichkeit geworden war.
    »Ich weiß, was ich gesagt habe. Und ich weiß, dass es ihn auf etwas gebracht hat.«
    »Was?«
    Pope zögerte. Dann zuckte er die Achseln.
    »Sollen doch alle zur Hölle gehen«, knurrte er im Flüsterton. Er sah Detective Barren an. »Ich hab gesagt: ›Suchen Sie nach einem Tod oder einer Trennung.‹ Es fängt immer mit einem von beidem an. Manchmal ist es ein und dasselbe.«
    Sie lehnte sich zurück. Eine Trennung, dachte sie. Wir sind hingefahren. New Hampshire.
    »Das war alles?« Sie war verzweifelt bemüht, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
    »Das war alles. Dann ist er aufgestanden und abgehauen.«
    »T-t-t-tut mir leid, D-D-D-Detective …«
    Sie starrte die Männer an und fragte sich, wie viele Tode sich über diesen Raum verteilten. Wie viele zerstörte Leben. Es fröstelte sie.
    Dann dachte sie: Ein Tod, ein zerstörtes Leben.
    Der Gedanke nahm Gestalt an, so langsam wie ein Zyklon in weiter Ferne, der aber mit jeder Sekunde, die vergeht, an Kraft und Stärke gewinnt. Sie merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, als sei die Temperatur im Raum sprunghaft angestiegen, und sie dachte an etwas, das Martin Jeffers vor wenigen Tagen erwähnt hatte: Der Mistkerl hat uns nicht mal seinen Namen gegeben. Und dann ist er gestorben. Bei einem Unfall.
    Sie legte die Hand an die Stirn, als wollte sie Fieber messen. Sie blickte in die glühenden Augen der Männer. Dann standsie auf, ohne zu wissen, dass sie genau dasselbe tat wie Martin Jeffers kurz zuvor.
    »Danke«, sagte sie. »Sie waren überaus hilfreich.«
    Ich weiß es, dachte sie. Ich weiß es.
    Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Zumindest ist es ein Anfang.
    Sie dachte an die vergilbte Zeitung in Martin Jeffers’ Kästchen unter dem Bett. Geh hin!, schrie eine Stimme tief in ihrem Innern. Mach schon! Sie verrät dir, wo du ihn findest. Ihr blieb nur ein kurzer Moment, um sich innerlich dafür zu ohrfeigen, dass sie bei ihrem ersten Einbruch in Martin Jeffers’ Wohnung nicht draufgekommen war. Diesmal, dachte sie, weißt du, wonach du zu suchen hast. Geh schon! Los! Los!
    Sie drehte sich abrupt um und ließ die Männer murmelnd zurück.
    Ihre Absätze hallten im Stakkato eines Maschinengewehrs durch die Flure, als sie aus der Klinik eilte.

14. KAPITEL
Niemandsland
     
19.
    Holt Overholser, dreiundsechzig Jahre alt, Chef der Polizei West Tisbury und der einzige ganzjährige Beamte dieser Dienststelle, wühlte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und grollte innerlich über den alljährlichen Zustrom an Sommergästen,

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