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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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nicht schwer, den Mann zu hassen, der Susan umgebracht hatte.
    Und dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches.
     
    Die Zeit ging über Detective Barrens Gefühle hinweg.
    Sie war in ihre berufliche Routine eingebunden, welche die Verhaftung des libanesischen Studenten in den Hintergrund drängte. Der Tag, an dem sie in Susans Zimmer im Studentenheim deren sämtliche Bücher, Kleider und Papiere zusammenpackte, um sie an ihre Schwester zu schicken, war noch einmal schwierig. Sie war auf einen unvollendeten Liebesbrief an einen Jungen namens Jimmy gestoßen, dem sie selbst nie begegnet war – das schwärmerische Sprudeln einer jungen Frau, die beginnt, die Kindheit abzustreifen. Während sie die Worte gelesen hatte, war ihr ein großer, schlaksiger Junge in den Sinn gekommen, der beim Trauergottesdienst schüchtern am hinteren Ende der Kirche gestanden und am Grab Abstand gehalten hatte, weil er wohl nicht wusste, welche Stellung ihm in all dem Leid zukam. Vielleicht machte ihn der Gedanke, selbst am Leben zu sein, verlegen, so wie es auch ihr einmal ergangen war, und das Gefühl der Erleichterung, das die Jugend angesichts des Todes empfindet – die Dankbarkeit, wenigstens selbst noch eine Zukunft vor sich zu haben –, erfüllte ihn womöglich mit Entsetzen. Detective Barren las: »… Ich kann es dieses Jahr kaum erwarten. Nach der Hälfte des Semesters machen wir eine einwöchige Exkursion auf die Bahamas. Wir nehmen das Forschungsboot mit und verbringen eine Woche unter Wasser. Ich wünschte, du könntest dabei sein. Ich denke an die letzten Nächte und das, was wirmiteinander haben …« Merce lächelte. Was hatten sie miteinander? Einen seltsamen Moment lang hoffte sie, dass ihre Nichte wahre Leidenschaft und Hingabe kennengelernt, dass sie sich ganz der Lust hingegeben hatte. Das hätte ihr gewaltsames Ende gemildert.
    An dieser Stelle hatte sie den Brief weggelegt. Es schien ihr unfair, ihn zu lesen. Doch einen Augenblick hatte sie so etwas wie Freude empfunden, als sei Susan – wenn schon nicht zum Leben erweckt – so doch ihr irgendwie zurückgegeben worden. Sie hatte sich schuldig gefühlt und mit dem Packen weitergemacht, nachdem sie diesen und einige ähnliche Briefe beiseitegelegt hatte, um sie dem schlaksigen Jungen zu schicken.
    Du musst dich beschäftigen, schärfte sie sich ein.
    Zehn Tage nach der Verhaftung von Sadegh Rhotzbadegh rief sie Detective Perry beim Morddezernat an. Dienstags tagte gewöhnlich die Grand Jury, das für die Anklageerhebung zuständige Gremium, und es war schon später Nachmittag. Perry meldete sich prompt und entschuldigte sich sofort.
    »Du liebe Güte, Merce, tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe, es war hier so furchtbar hektisch …«
    »Geht schon in Ordnung«, erwiderte sie. »Waren Sie heute vor der Grand Jury?«
    »Also, ja und nein.«
    »Das müssen Sie mir erklären.«
    »Na ja, wir waren da, und ja, wir rechnen noch heute mit der Anklageerhebung wegen mehrfachen vorsätzlichen Mordes. Aber nicht im Fall von Susan und in einem weiteren Fall.«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
    »Sehen Sie, der Modus operandi war in allen fünf Mordfällen in Dade und einem im Regierungsbezirk Broward am dortigen Community College der gleiche. Rhotzbadegh hat daein Seminar in Elektrotechnik belegt. Jedenfalls hatte er von allen sechs Morden Zeitungsausschnitte bei sich zu Hause.
    Seine Blutgruppe passt zu einer der Spermaproben, die wir in der Nähe von Susans Leiche gefunden haben – aber nicht zu der anderen. Und bei der passenden Probe ist da noch die Frage des Alters. Er hat eine ganz gewöhnliche Blutgruppe, und es war nicht möglich, sie weiter einzugrenzen. Das Labor hat ihn lediglich in die Fünfundzwanzig-Prozent-Kategorie einordnen können.«
    »Keine weiteren Ausschlussmöglichkeiten?«
    »Nein. Genauso wie bei dem Fall in Broward.«
    »Ergo?«
    »Zu einem der anderen Fälle in Dade haben wir nichts, lediglich die Zeitungsausschnitte.«
    »Das heißt?«
    »Na ja, wir bringen ihn durch den Schmuck und die Wäsche, die wir bei ihm zu Hause gefunden haben, und durch den Schuh, den er aus irgendeinem finsteren Grund behalten hat, mit drei der sechs Morde in Verbindung. Verbindung trifft es vielleicht nicht ganz. Wir nageln ihn fest. Es läuft auf Folgendes hinaus: Wir klären alle Fälle ab, aber wir kriegen vorerst nur drei Anklagen. Wenn der Prozess so weit ist, dass es um die Todesstrafe geht, können wir immer noch Beweise aus den anderen Fällen einbringen.

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