Der Fotograf
denen er zwar sein Gehalt verdankte, die sich aber nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hielten und ständig versuchten, ihre Abfälle auf die städtische Müllkippe zu werfen, und das auch noch an Tagen, an denen sie offiziell geschlossen war. Er hatte einen beträchtlichen Teil des Nachmittags damit zugebracht, mit Hilfe seines Radardetektors Strafzettel auszustellen. Der Stadtrat hatte eine halbe Meile vom Zentrum entfernt ein Schild mit einem Tempolimit dreißig aufgestellt, obwohl die Herren wussten, dass niemand den Fuß vom Gaspedal nehmen würde, bis er an der presbyterianischen Kirche vorbei war. Dort parkte Holt, um jeden zweiten Wagen herauszuwinken und dem Halter ein Knöllchen für zu schnelles Fahren in die Hand zu drücken und ein Bußgeld von fünfundzwanzig Dollar zu kassieren. Er war so umsichtig, die Formulare bereits vorher auszufüllen.
Dies war für die Stadt zu einer der wichtigsten Einnahmequellen geworden; der Stadtrat war’s zufrieden und Holtauch. Letztes Jahr hatte es sogar für einen neuen Ford Bronco mit Allradantrieb und Polizeiausrüstung gereicht. Dieses Jahr, so hoffte er, würden sie diese neuen Walkie-Talkies bekommen, die man sich an den Gürtel schnallte, mit einem Mikro auf der Schulter, so wie er es in
Polizeirevier Hill Street
gesehen hatte. Das war Holts Lieblingsserie, und er verdankte ein Gutteil seiner Ausbildung als Polizist dieser und weiteren Krimiserien, von denen er keine Folge ausließ. Sie reichten bis zu
Polizeibericht
zurück. Jedes Mal, wenn er eine Funkverbindung beendete, sagte er in genau dem mürrischen Ton, den Broderick Crawford berühmt gemacht hatte: »Roger.« Er fragte sich, ob es in der kommenden Fernsehsaison neue gute Polizeiserien geben würde. Er wagte, es zu bezweifeln. Cops schienen einmal wieder aus der Mode gekommen zu sein, und wahrscheinlich würde es ein paar Jahre dauern, bis das Fernsehen einmal wieder etwas Neues ausprobierte.
Miami Vice
ging für ihn nicht als Polizeiserie durch.
Holt blätterte seinen Strafzettelblock durch, um sicherzugehen, dass alles leserlich war, bevor er ihn ans Sekretariat der Stadtverwaltung schickte. Er hatte in vier Stunden siebenundvierzig Knöllchen ausgestellt und lag damit um drei unter seinem Rekord, dachte er enttäuscht. Bald war Labor Day, und er war zuversichtlich, seine Höchstleistung nicht nur zu wiederholen, sondern weit zu übertreffen.
Er räkelte sich und sah aus dem Fenster des kleinen Büros. Es war dunkel geworden an diesem warmen Spätsommerabend. Vom Tag blieb nur noch ein schnell verblassender roter Schimmer im Westen. Holt war in dieser Richtung nie weiter gereist als zu Thanksgiving nach Albany, wo seine Schwester wohnte, doch er war ein eifriger Leser, vor allem von Romanen und Reiseberichten, und er sehnte sich nach Tapetenwechsel. Er sah sich gerne als jemand, der eine Zeitreise in eine frühereEpoche unternimmt, am liebsten in den Wilden Westen. Zum Beispiel als Friedenswächter einer Kleinstadt – hart, aber herzlich, fair, aber jemand, dem man nicht auf die Füße treten sollte, ein Mann, den man im Ernstfall gern an seiner Seite hat. Zugegeben, in seinen dreiunddreißig Dienstjahren auf Martha’s Vineyard war es nie zum Ernstfall gekommen. Gelegentlich ein angriffslustiger Betrunkener – das war das Schlimmste gewesen, das ihm je untergekommen war.
Er schloss die Augen und lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Zum Abendessen würde es frischen Blaubarsch geben, mit Gemüse aus seinem eigenen Garten. Holt beglückwünschte sich zu der guten Küche, die er genoss, was er der Passion seiner Frau verdankte.
Er schlug sich ans Herz. Dreiundsechzig und bei guter Gesundheit, dachte er. Der Stadtrat hatte vor drei Jahren versucht, ihn in Pension zu schicken, doch Holt hatte die amtsärztliche Untersuchung besser bestanden als ein halbes Dutzend Männer, die dreimal so jung waren wie er, und so hatten die Stadtväter beschlossen, ihn zu behalten. Außerdem fanden sie es amüsant, wie Holt zur Entlastung des Staatssäckels im Sommer für wenig Geld Jugendliche als Hilfspolizisten rekrutierte. Holt konnte sie beim Armdrücken alle mühelos niederringen, und zwar mit der linken Hand; vor vierzig Jahren hatte er vor Menemsha auf einem Hummerboot gearbeitet und beträchtliche Oberkörpermuskeln entwickelt, indem er die vollen Körbe Hand über Hand an Bord gehievt hatte. Als junger Mann hatte er außerdem Pokerspielen gelernt, womit er jetzt sein Einkommen um ein
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