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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sie.
    Ein Dutzend widerstreitender Gefühle verwirrten ihren Kopf.
    »Bitte«, flüsterte sie, »das darf nicht wahr sein.«
    Sie ging zur Uferböschung hinunter und starrte über den Teich. Auf den Wellenkräuseln spiegelte sich der Mond. Sie starrte in das Dunkel am anderen Ufer.
    Dann sank sie im Sand auf die Knie.
    »Nein«, bat sie leise. »Nein, bitte, bloß das nicht.«
    Vor ihr lag der kleine See, der sich bis zu der gewellten Dünenkette des South Beach erstreckte. Am anderen Ufer, direkt ihr gegenüber, konnte sie eine einzige, langgestreckte Landzunge ausmachen, mit der Spitze zur Mitte des Sees.
    »Nein«, wiederholte sie im Flüsterton. »Das ist nicht fair.«
    Sie sah das Haus am Ende der Spitze und wusste in diesem Moment, dass sie den Ort vor Augen hatte, an dem die Jeffers-Brüder warteten. Sie strengte die Augen an und sah, wie sich das Mondlicht in einem weißen Gegenstand fing, in dem sie den Leihwagen von Martin Jeffers vermutete.
    Sie beugte sich nach vorn und hämmerte mit den Fäusten im Sand. »Nein, nein, nein, nein, nein«, stöhnte sie. Immer noch auf Knien, drehte sie sich um und blickte auf den Wald zurück. Der falsche Weg, dachte sie, verdammt noch mal der falsche Weg. Ich bin auf der falschen Seite des Teichs angekommen. Der ganze weite Weg und am Ende die falsche Abzweigung. Sie stürzte in ein tiefes Loch. Sie raste vor Wut auf sich selbst.
    Immer noch keuchend, als hätte sie einen Wettlauf hinter sich statt vor sich, gewann sie irgendwann die Kontrolle wieder.
    Sie rappelte sich hoch.
    »So schnell gebe ich nicht auf«, sagte sie laut. Sie schüttelte die Faust in Richtung Haus. »Ich komme.«
     
    Holt Overholser schob den Stuhl vom Tisch zurück und starrte auf die wenigen Reste seiner zweiten Portion Blaubarsch auf seinem Teller. »Verdammt, verdammt«, murmelte er.
    »Was hast du, Schatz?«, erkundigte sich seine Frau. »Stimmt was nicht mit dem Fisch?«
    Er schüttelte den Kopf. »Da ist nur was, das mir keine Ruhe lässt«, antwortete er.
    »Dann behalte es nicht für dich«, riet seine Frau, während sie den Tisch abräumte. »Was macht dir denn zu schaffen? Sorgen schaden der Verdauung, weißt du.«
    Einen Moment musste er denken, dass seine Frau die Welt ziemlich gut erfasst hatte: Alles war eine Sache der Verdauung. Wenn die Araber und die Juden mehr Getreide essen würden, dann lägen sie sich nicht dauernd in den Haaren. Wenn die Russen sich ausgewogener und weniger fett ernährten, dann würden sie nicht so auftrumpfen und den Weltfrieden bedrohen. Wenn Terroristen weniger rotes Fleisch und dafür mehr Fisch essen würden, dann bräuchten sie keine Flugzeuge zu entführen. Die Republikaner aßen zu viel Fett, was zu Herzschwäche und einer konservativen Weltanschauung führte, deshalb wählte sie grundsätzlich die Demokraten. Einmal hatte er sie gefragt, was denn mit den kräftig gebauten Kongressabgeordneten von Massachusetts wäre, wie etwa Tip und Teddy, aber sie wollte nichts davon hören.
    »Na ja, als ich gerade gehen wollte, bekam ich Besuch von einer Frau von der Kripo, aus Miami.«
    »Hat sie an einem Fall gearbeitet, Liebling? Das muss aufregend sein.«
    »Sie sagt, nein.«
    »Wieso hast du sie nicht zum Essen mitgebracht?«
    »Aber sie war bewaffnet. Und sie hat mir eine seltsame Geschichte aufgetischt, die, je mehr ich drüber nachdenke, immer unglaubwürdiger klingt.«
    »Und was willst du nun tun?«
    Holt Overholser überlegte angestrengt. Er war vielleicht kein Sherlock Holmes, aber Mike Hammer konnte er allemal das Wasser reichen.
    »Ich denke, eine kleine Spritztour kann nicht schaden«, meinte er. »Keine Sorge, zu
Magnum
bin ich wieder da.«
    Er schlang sich den Sam-Browne-Gürtel über die Schulter und lief zu seinem Polizeiwagen hinaus.
     
    Martin Jeffers saß reglos auf seinem Sessel und sah zu, wie sein Bruder wütend hin und her marschierte. Einmal versuchte er, einen Blick von Anne Hampton zu erhaschen, doch sie saß, den Stift in der Hand, am Tisch und rührte sich nicht. Er fragte sich, was sie durchgemacht haben musste; er konnte es sich kaum vorstellen und wusste nur, dass es schlimm gewesen sein musste, wenn es sie in diesen nahezu katatonischen Zustand versetzt hatte, in dem sie sich befand.
    Seine Überlegungen erstaunten ihn. Es waren die ersten Gedanken seit seinem Eintreffen am Finger Point, die wenigstens von rudimentären psychologischen Kenntnissen zeugten. Er versuchte, sich Befehle zu erteilen. Greif auf dein Wissen

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