Der Fotograf
des Polizeichefs und führte sich die Karte vor Augen, die sie in seinem Büro gesehen hatte. Doch die ließ sich auf die düstere Wahl, vor der sie jetzt stand, nicht übertragen. Sie dachte an das berühmte Rätsel um die Dame und den Tiger und wusste nur, dass sie die Tür zur Bestie öffnen wollte.
»Der muss es sein«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf einen der schwarzen Wege. »Mit Sicherheit«, fügte sie hinzu, um ihrer Angst und tatsächlichen Unsicherheit zu trotzen. Der diffuse Gedanke, sie könnte, die Schusswaffe in der Hand, vor einem anderen Ferienhaus landen, geisterte ihr für Sekunden durch den Kopf. Dann schob sie ihn beiseite.
»Auf geht’s«, versuchte sie sich zu ermuntern, und ihre Stimme klang mitten im Wald kümmerlich und dünn. Sie stieg wieder in den Wagen und fuhr los.
Zweihundert Meter weiter gabelte sich die Straße erneut, und sie folgte ihrem Instinkt nach links. Sie wusste, dass sie nach dem Teich Ausschau halten musste und dass die Stelle, an der sie den Gesuchten finden würde, eine lange, schmale Landzunge war. Sie kurbelte die Scheibe herunter und versuchte, ein Gefühl dafür zu bekommen, wo das Wasser war, doch es drang nur Nacht in den Wagen. Sie fuhr immer weiter, rollte durch einen offenen Holzzaun und passierte ein Schild mit der Aufschrift: ZUTRITT VERBOTEN! DAS GILT AUCH FÜR SIE. Sie ignorierte es und drang immer tiefer in Gestrüpp und Kiefern ein, bis der Wald sie zu verschlingen drohte. Panik kroch ihr den Nacken empor, und sie hyperventilierte.
Den Gedanken, dass sie vielleicht in eine völlig falsche Richtung fuhr, ließ sie nicht zu.
»Weiter«, trieb sie sich an.
Sie sah, dass sich vor ihr die Bäume lichteten, und trat dankbar aufs Gas. Der Wagen machte einen Satz nach vorn und sackte wie ein erschöpfter Athlet vor der Ziellinie knirschend zu Boden. Sie stieß einen kurzen Schrei aus. Sie hörte ein Knacken, dann ein ratschendes Geräusch.
Sie hielt an, um nachzusehen.
Beide Vorderräder steckten in einer kleinen, doch verhängnisvollen Mulde. Die Vorderachse hatte sich in den Sand gegraben.
Sie seufzte und schloss die Augen. Vorwärts, hämmerte sie sich ein. Sie öffnete die Augen und stieg wieder ein. Als sie versuchte, aus der Vertiefung herauszufahren, drehten lediglich die Hinterräder durch. Hilflos schlug sie mit der Faust aufs Lenkrad, dann schluckte sie einmal schwer und sah sich um. Sie machte den Motor und die Scheinwerfer aus. Na schön. Dann gehst du das übrige Stück eben zu Fuß. Ist kein Drama; du wolltest das Auto sowieso bald stehenlassen. Lauf einfach immer weiter.
Sie orientierte sich an der Lichtung vor sich und merkte, dass sich ihre Augen schnell an die Dunkelheit gewöhnten. Sie behielt die Pistole in der Hand und ging in Laufschritt über, wenn auch nicht zu schnell, um nicht ihren Knöcheln dasselbe wie der Achse des Leihwagens anzutun. Die zielstrebige Bewegung machte ihr immerhin Mut; sie drängte weiter voran und lauschte auf das dumpfe Geräusch ihrer Füße auf dem sandigen Boden.
Die Straße erschien ihr wie ein Tunnel, dessen Ende abzusehen war. Sie lief schneller und hatte plötzlich die überhängenden Zweige hinter sich gelassen, während sich vor ihr eineweite Grasfläche im Mondlicht öffnete. Wie benommen starrte sie in den Himmel und war überwältigt von den Tausenden von glitzernden Lichtern, die sich endlos über das Dunkel breiteten. Sie kam sich winzig vor und allein, doch zugleich war sie auch erleichtert, den Wald hinter sich gelassen zu haben. Einen Moment lang war ihr das Mondlicht zu hell, und sie blieb keuchend stehen, um sich zu orientieren.
Zu ihrer Linken sah sie einen schimmernden Widerschein. Sie starrte hinüber und entdeckte den Teich. Sie hielt die Luft an und hörte die rhythmischen Wellenschläge. Sie blickte über den Teich hinweg und konnte mühelos die schwarze Linie des South Beach in etwa einem Kilometer Entfernung erkennen.
Ich hab’s gefunden, dachte sie.
Ich bin da.
Sie hielt nach einem Haus Ausschau, konnte jedoch keines entdecken.
Sie drehte sich um und schaute nach rechts, wo sie auch Wasser erwartete, sah jedoch nur Wald, der sich zur Mitte der Insel erstreckte.
»Da stimmt was nicht«, erkannte sie, plötzlich beunruhigt. »Da ist entschieden was faul. Finger Point müsste schmal sein, beidseitig von Wasser umgeben.«
Sie ging drei, vier Meter weiter, als könne der Blickwinkel etwas an der Umgebung ändern.
»Da stimmt so ziemlich gar nichts«, murmelte
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