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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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hatte schon fast den für Gefangene vorgesehenen Ausgang erreicht, als er stehen blieb, sich umdrehte und den Saal absuchte. Schließlich trafen sich ihre Blicke, und zum ersten Mal schienen seine Augen nicht verängstigt, sondern traurig. Er schüttelte heftig den Kopf, als wolle er etwas energisch verneinen. Sie sah, wie er mit den Lippen ein, zwei Worte formte, konnte jedoch nichts verstehen.
    Und dann war er verschwunden. Sie hörte nur noch, wie die Tür ins Schloss fiel.
    In diesem Moment empfand sie vollkommene Leere.
     
    Zuerst übertrieb sie es mit allem. An einen leichten morgendlichen Dauerlauf von zwei Meilen am Strand war sie gewöhnt, doch jetzt erhöhte sie das Pensum auf fünf Meilen in fünfundvierzig Minuten, so dass ihr die Luft wegblieb. Bei der Arbeit ging sie jeden Aspekt eines jeden ihrer Fälle zwei-, dreimal durch und schöpfte Genugtuung aus der pingeligen Präzi sion. Da sie schlechter schlief als früher, trank sie mehr. Eine Freundin bot ihr Valium an, doch sie hielt sich an das bisschen gesunden Menschenverstand, den sie sich noch zutraute, und lehnte das Medikament ab. Ihr war bewusst, dass ihr Verhalten seltsam und verzweifelt war, und ihr war ebenso klar, dass sie ernste Schwierigkeiten hatte. Wenn sie tatsächlich einmal schlafen konnte, hatte sie lebhafte Träume, die sich um den libanesischen Studenten, Susan und ihren eigenen toten Ehemann drehten. Manchmal sah sie das Gesicht des Mannes, der sie angeschossen hatte, manchmal ihren Vater, dem die Tränen in den Augen standen, während er sie ansah, als machte sie ihn über den Tod hinaus traurig.
    Sie hasste den Gedanken, dass es vorbei war.
    Sie wusste, was als Nächstes kam. Sadegh Rhotzbadegh würde erst einmal an die Verteilungsstelle im mittleren Florida überstellt, wo man ihn auf seinen physischen und mentalen Zustand hin untersuchen würde. Zu gegebener Zeit würden sie ihn in den Hochsicherheitstrakt in Railford verbringen, wo er seine Haft antreten musste – bis ans Ende seiner Tage. Die Tatsache, dass er weiterlebte, erfüllte sie mit Entsetzen.
    Immer wieder hatte sie dieses Kopfschütteln vor Augen, das ihr gegolten hatte, und versuchte, in all der Verwirrung, derAngst und dem Wahn zu entschlüsseln, was er ihr mit dieser letzten Geste hatte sagen wollen.
    Sie lag nachts wach und grübelte.
    Wie bei einer raffinierten Kamerafahrt versuchte sie, jeden Bruchteil seiner Bewegung einzeln einzufangen und zu einem Ganzen zusammenzufügen. Sein Kopf hatte sich zuerst nach rechts, dann nach links gedreht, er hatte den Mund geöffnet und Worte geformt, die jedoch in all dem Lärm und Gedränge untergegangen waren.
    Sie gewöhnte sich an, jedes Wochenende einige Zeit am Schießstand der Polizei zu verbringen. Es hatte etwas Befriedigendes, ihr Geschick mit der Police Special, Kaliber achtunddreißig zu vervollkommnen. Die Wucht des Rückstoßes in ihrer Hand war eine angenehme sinnliche Erfahrung. Sie kaufte sich eine halbautomatische Browning, Kaliber neun Millimeter, eine große, schlagkräftige Pistole, und meisterte bald auch diese Waffe. Sie ging zu Lieutenant Burns und bat darum, sie aus der Tatortanalyse zurück in den Streifendienst zu versetzen.
    »Ich würde gerne wieder Streife fahren.«
    »Was?«
    »Regelmäßigen Schichtdienst versehen. Vielleicht ein Revier übernehmen.«
    »Keine Chance.«
    »Das ist ein offizielles Ersuchen.«
    »Und wenn schon. Ich soll Sie da rausschicken, damit Sie den nächstbesten Handtaschendieb wegpusten? Halten Sie mich für verrückt? Ersuchen abgelehnt. Wenn Sie weiter oben vorstellig werden wollen, nur zu. Wenn Sie es bei der Gewerkschaft versuchen wollen, auch gut, aber es läuft auf das Gleiche hinaus.«
    »Ich muss raus. Ich brauche das.«
    »Nein, brauchen Sie nicht. Sie brauchen Ihren Seelenfrieden zurück. Den kann ich Ihnen nicht geben. Das kann nur die Zeit.«
    Sie wusste nicht einmal mehr, was das war.
    Sie rief Detective Perry an.
    »Wissen Sie, Merce, wir waren kurz davor, ihn auch für den Mord an Susan dranzukriegen. Wir hatten den Zeitungsausschnitt, den wir bei ihm zu Hause gefunden haben, und nachdem das Bild von dem Kerl in der Zeitung veröffentlicht wurde, haben ihn ein paar Studenten wiedererkannt, die an dem Abend mit Susan in der Bar waren. Sie hätten vor Gericht bezeugt, ihn an dem Abend dort gesehen zu haben. Das Dumme war nur, dass sie ihn nicht mit ihr zusammen gesehen hatten, oder wie er ihr nach draußen gefolgt war, und einer der Studenten kann sich

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