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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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genau erinnern, dass er noch drinnen war, als Susan schon verschwunden sein musste. Wir waren also nah dran, aber …«
    »Kann ich ihre Namen bekommen?«
    »Sicher.«
    Sie machte sich eine Notiz, um die Studenten später aufzusuchen.
    Unablässig dachte sie an das Kopfschütteln des libanesischen Studenten. Was?, fragte sie sich immer wieder. Was wolltest du mir sagen?
     
    Sie lag im Bett und empfand nur tiefe Dunkelheit. Der Urteilsspruch war Wochen her; der tropische Frühling hatte die Stadt in kürzester Zeit in üppig sprießendes, sattes Grün gehüllt. Selbst die Nächte schienen voller wiedererwachtem Leben. Wenn er nun sagen wollte, nein, ich hab Susan nicht umgebracht. Mach dich nicht lächerlich. Er hat dich gehasst. Er hat nicht alle Tassen im Schrank. Allah dies und Allah das,er hat sich irgendeine Form von Vergebung erhofft. Von ihr? Dafür trug er zu viel Angst und Arroganz in sich, eine unmögliche Kombination.
    Was dann? Er hat den Kopf geschüttelt, weiter nichts. Vergiss es. Aber wie?
    Doch dann schlich sich eine seltsame, nagende Sorge ein, als gäbe es etwas, das sie übersehen hatte, obwohl es ins Auge sprang. Einen Moment drehte sich ihr alles im Kopf, und sie knipste die Lampe an. Sie warf einen Lichtkegel in die Nacht. Merce tappte durchs Schlafzimmer zu einem kleinen Schreibtisch, in dem sie sämtliche Polizeiberichte sowie Notizen über Susans Ermordung aufbewahrte. Langsam breitete sie die Papiere vor sich aus. Verhalte dich endlich wie eine gottverdammte Polizistin und nicht wie eine verzweifelte Angehörige, hämmerte sie sich ein. Dann nahm sie sich die Unterlagen vor. Finde es, was immer es ist. Irgendetwas hast du übersehen.
    Und da war es, ein winziges Detail, und zwar im forensischen Zwischenbericht ihres Chefs.
    Alkoholrückstände.
    Sie las: »Der Kerl muss ein, zwei Drinks intus gehabt haben. Alkohol versaut uns immer die Ergebnisse.«
    »Mein Gott«, entfuhr es ihr laut.
    Sie hastete zu einem Bücherregal im Wohnzimmer, zog ein Wörterbuch heraus und schlug »schiitischer Moslem« nach, doch das half nicht weiter. Sie entdeckte ein Vorlesungsverzeichnis, das Susan einmal bei ihr zurückgelassen hatte. Sie nahm es und blätterte es ungeduldig durch. Orientalistik fand sie auf Seite hundertvierundfünfzig. Sie unterstrich den Namen des Institutsdirektors und schnappte sich ein Telefonbuch. Er stand drin.
    Sie sah auf die Uhr. Drei Uhr morgens.
    Drei Stunden saß sie reglos da und versuchte, ihre Angst zu überwinden. Tut mir leid, dachte sie, als der Zeiger auf sechs stand. Sie wählte die Nummer.
    »Kann ich bitte Harley Trench sprechen?«
    »Gott«, sagte eine schlaftrunkene Stimme. »Am Apparat. Keine Terminverschiebungen, hab ich ausdrücklich im Seminar gesagt.«
    »Professor Trench, hier spricht Detective Mercedes Barren von der städtischen Polizei Miami. Es geht um eine Ermittlung.«
    »Du liebes Bisschen, tut mir leid. Normalerweise sind es Studenten. Sie wissen, dass ich Frühaufsteher bin, und das nutzen sie aus …«
    Sie hörte ein Räuspern.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
    »Wir haben bei einem wichtigen Fall einen Tatverdächtigen, der aus dem Nahen Osten stammt. Er gibt an, schiitischer Moslem zu sein.«
    »Ah, so wie dieser grässliche Kerl, der die jungen Mädchen ermordet hat.«
    »Ja.«
    »Nun ja, fahren Sie fort.«
    »Wir müssen wissen, also, wir können diesen Kerl laufen lassen, falls wir nachweisen können, dass er was getrunken hatte.«
    »Sie meinen, etwas Alkoholisches.«
    »Richtig.«
    »Ein Bier oder ein Glas Wein oder einen Gin Tonic.«
    »Richtig.«
    »Also, das ist leicht zu beantworten, Detective. Wenn er ein gläubiger Schiite ist, so wie dieser arme Irre es von sich behauptet hat, nie im Leben.«
    »Wie bitte?«
    »Eine Todsünde, Detective. Kein Tropfen Alkohol. Nicht über ihre Lippen. Nie und nimmer. Das gilt gleichermaßen für die fanatischen Moslems wie die Erneuerer. Ein wahrer, konservativer Moslem würde keinen Tropfen anrühren. Würde wahrscheinlich fürchten, der Ayatollah wäre dann höchstpersönlich hinter ihm her. Wir reden hier wohl nicht von einem Saudi oder nordafrikanischen Moslem, sondern von einem augenrollenden, geiselnehmenden Schiiten? Nie im Leben. Beantwortet das Ihre Frage, Detective?«
    Detective Barren schwieg.
    »Detective?«
    »Ja, tut mir leid. War nur in Gedanken. Danke, ja, in der Tat.«
    Alkoholrückstände, dachte sie.
    Wieder wurde ihr schwindelig.
    Sie legte auf und starrte auf die Worte auf

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