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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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dem Tisch.
Alkoholrückstände.
    Mein Gott, dachte sie.
    In Zeitlupe sah sie dieses Kopfschütteln vor sich, hartnäckig, insistierend.
    Sie rannte ins Schlafzimmer und wühlte die Papiere durch, bis sie zu der Aufstellung der Gegenstände kam, die in Sadegh Rhotzbadeghs Haus gefunden worden waren. Kein Alkohol. Aber er war in der Bar, dachte sie. Man hatte ihn dort gesehen. Aber war auch beobachtet worden, ob er etwas getrunken hatte?
    Mein Gott, dachte sie erneut.
    Sie sprang auf und lief ins Bad. Ein paar Sekunden starrte sie ihr Spiegelbild an und sah Angst und Schrecken in ihren Augen. Dann drehte es ihr den Magen um. Sie beugte sich über die Toilette und erbrach sich heftig. Sie wischte sich ab und sah wieder in den Spiegel.
    »Mein Gott«, sagte sie sich ins Gesicht. »Der läuft noch frei da draußen rum. Das heißt, vielleicht, vielleicht, vielleicht, o mein Gott. Ach, Susan, es tut mir so leid, aber der läuft vielleicht immer noch da draußen rum. Susan, Kleines, es tut mir so leid.«
    Ihre Kehle war wie zugeschnürt, doch dann brach es endlich aus ihr heraus.
    »Ach, Susan, Susan, Susan«, schluchzte sie.
    Und zum ersten Mal seit dem Anruf vor so vielen Monaten überließ sie sich dem Kummer, und was sie so lange so erfolgreich unterdrückt hatte, stürzte in einer Tränenflut aus ihr heraus.

2. KAPITEL
Eine Literaturstudentin
     
4.
    Das gleißende Licht über dem Highway fiel erbarmungslos durch die Windschutzscheibe und blendete ihn eine Sekunde lang, und er stellte sich vor, wie er über den Tisch hinweg seinen Bruder anstarrte und ihn sagen hörte: »Weißt du, ich wünschte, wir hätten uns früher nähergestanden …«
    Er erinnerte sich, wie er ihm ohne zu überlegen, aber wahrheitsgemäß geantwortet hatte: »Oh, wir stehen uns näher, als du denkst. Viel näher.«
    Douglas Jeffers fuhr Richtung Süden und dachte an das fahle Licht der Krankenhaus-Cafeteria, in dem das Gesicht seines Bruders seine Konturen verlor. Das Licht, dachte er, ich erinnere mich immer an das Licht. Er trat aufs Gas und sah, wie die Zwergkiefern und Büsche an den Seiten des Highways noch schneller auf ihn zuzurasen schienen.
    Amerika verschwimmt, dachte er.
    »Mit hundertsechzig Sachen über den Highway«, sagte er laut und trat das Pedal weiter durch. Er fühlte, wie der Wagen anzog, und freute sich, wie die Landschaft an den Scheiben vorbeiflog. Er hatte das seltsame Gefühl, stillzustehen, während die Welt an ihm vorbeiraste. Als der Wagen beim Überholen eines Sattelschleppers mit Anhänger im Sog der unterschiedlichenGeschwindigkeiten ein wenig schlingerte, packte er das Lenkrad fester. Er spürte, wie es unter seinen Fingern zuckte, als wollte es sich beschweren oder ihn warnen. Der Motor dagegen dröhnte vergnügt, basso profundo. Er sah auf den Tacho, und als die Nadel hundertsechzig erreichte, nahm er abrupt den Fuß vom Gas, bis er auf bescheidene hundertzehn herunter war. Er fummelte einen Moment an der Skala des Radios herum, bis er den Sender in Florence, Georgia, mit näselnder Countrymusik ohne Störungen bekam. Der Moderator kündete in gedehntem Südstaatenakzent einen Hörerwunsch an: »Für all die bemerkenswerten Schulbusfahrer in Florence, die jetzt auf Streikposten zuhören …« Dann ließ er Johnny Paycheck singen: »… now you can take this job and shove it, I ain’t working here no more …«
    Jeffers fiel in den Refrain ein und dachte an das Treffen mit seinem Bruder vor zwei Tagen.
     
    Er wartete geduldig an einem kleinen Tisch in einer Ecke der Krankenhaus-Cafeteria, bis Marty seine Morgenvisite beendet hatte und den Raum betrat. »Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen«, fing der Jüngere an, doch Douglas winkte ab. Ein paar Minuten redeten sie über belanglose Dinge und ignorierten das Klappern und Stimmengewirr um sie herum. Der Raum erstrahlte in kaltem Neon, in dem beide Brüder bleich und kränklich wirkten.
    »In dem Licht hier sehen alle wie kurz vor der Psychose aus«, meinte Douglas Jeffers.
    Martin Jeffers lachte.
    »Wie lange ist das jetzt her?«, fragte er.
    »Ein paar Jahre. Drei vielleicht«, erwiderte Douglas Jeffers.
    »Kommt einem gar nicht so lang vor.«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Viel zu tun?«
    »Ja. Wir beide, nehme ich an.«
    »Kann man sagen.«
    Douglas Jeffers dachte über das Lachen seines jüngeren Bruders nach und daran, wie selten er es gehört hatte. Martin war von Natur aus ernst. Aber was wollte man von einem Psychiater erwarten, erst recht

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