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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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neben einer Baumgruppe parkte. Er warf einen raschen Blick auf den Tacho. Er fuhr etwa hundertzehn, aber was machte das schon für einen Unterschied?
    Hinter Tallahassee, nahm er sich vor, würde er besser darauf achtgeben. Bei der Vorstellung, dass seine Reise durch eine zufällige Verkehrskontrolle ein jähes Ende finden könnte, drosselte er das Tempo. Andererseits würde ein langsamer Wagen ebenso sehr auffallen wie ein Raser. Halte dich an eine mittlere Geschwindigkeit. Er griff unter den Sitz und tastete nach dem Lederköfferchen, das er in den Hohlraum geklemmt hatte. Es war noch da. Er hatte die Pistole mit kurzem Lauf vor Augen. Nicht so zielgenau wie die Neun Millimeter, die er im Koffer aufbewahrte, und auch nicht so gut bearbeitet, wie das halbautomatische Ruger-Gewehr, Kaliber dreißig, in einem Kasten im Kofferraum. Doch aus kurzer Entfernung war sie sehr effizient. Und sie passte gut in seine Jackentasche; das war wichtig. Es wäre kaum ratsam, über den Campus zu schlendern, wenn sich unter seinem Jackett eine Waffe abzeichnete.
    Er kam an einem Wegweiser vorbei. Die Grenze zu Florida war noch sechzehn Kilometer entfernt.
    Wir kommen der Sache näher, dachte er.
    Er spürte eine freudige Erregung, wie beim Erwachen am ersten Tag im Sommerurlaub. Er kurbelte die Scheibe herunter und ließ die gnadenlos heiße Luft des Südens durch den Wagen wehen. Die Hitze wirbelte um ihn herum, und er fühlte sich ein wenig schlapp. Er merkte, wie ihm der Schweiß unter die Achseln trat, und schloss das Fenster wieder, damit die Klimaanlage ihre Arbeit tat.
    Er setzte seine Reise fort und ließ die Erinnerung an seinen Bruder zurück, um sich ganz auf den Highway zu konzentrieren. Er verließ die Interstate und fuhr durch den Florida Panhandle immer Richtung Miami. Die Bäume, registrierte er, waren hier unten weniger stattlich, als ob die Hitze sie entkräftete und die Sonne sie schrumpfte.
    Etwa sechzehn Kilometer außerhalb der Stadt fand er ein Motel. Es war ein schäbiges, unscheinbares Etablissement namens
Happy Nites Inn.
Er wollte schon gegenüber der müden Frau mit dem strähnigen grauen Haar hinter der Theke des Bürogebäudes eine Bemerkung darüber fallenlassen, ließ es dann aber sein. Er trug sich unter einem falschen Namen ein, für den er einen Ausweis hatte, doch sie bat nicht darum. Er zahlte für fünf Nächte im Voraus und nahm den Schlüssel zu dem entlegensten Bungalow an der Rückseite des Motels. Er vermutete, dass er dort ungestört war, danach musste er nicht einmal fragen. Das Zimmer kostete achtzehn Dollar die Nacht, und er bekam, wofür er bezahlt hatte. Das Bett war wackelig, mit grauer Wäsche und einer fadenscheinigen Decke bezogen, und es hing durch. Doch alles in allem wirkte das Zimmer sauber und lag, wie er feststellte, vollkommen abgeschieden. Er schob die Waffen unter die Matratze, duschte und machte den Fernseher an, doch er war nicht interessiert und beschloss nach wenigen Minuten zu schlafen.
    Als er im Bett lag, plagte ihn allerdings Unentschlossenheit.
    Er ging sämtliche Argumente durch, die seine Phantasie seit Wochen beschäftigten. Wieder zog er eine Studentin mit Haupt fach Geschichte in Betracht. Sie hätte Sinn für Zusammenhänge, für Kontinuität, wäre in der Lage, das, was geschah, in ein größeres Gesamtgefüge einzuordnen. Aber konnte sie auch schreiben? Besäße sie die rasche, wache Auffassungsgabe, um genau das zu dokumentieren, was ihm vorschwebte? Er war sich nicht sicher. Vielleicht doch lieber Soziologie. Wer Soziologie studierte, hatte eine klarere Vorstellung von Zeitströmungen und war in der Lage, eine Feststellung gesellschaftlich richtig zu bewerten. Doch wieder schwankte er, als ihm klar wurde, dass ihm individuelle Flexibilität eigentlich mehr am Herzen lag. Eine Psychologiestudentinwar außer Reichweite; er wäre gezwungen, mit einer klinischen Präzision vorzugehen, die ihm nicht lag. Naturwissenschaften und Politologie konnte er von vornherein ausklammern. Zu dogmatisch und wahrscheinlich nicht sonderlich informiert. Und ihm war ganz gewiss nicht danach, in seiner Freizeit über Politik zu diskutieren. Ebenso wusste er, dass er keine Mathematikerin haben wollte oder eine Musikerin oder Linguistin. Sie wären zu sehr in ihr eigenes Spezialgebiet versponnen, um das Geschehen zu würdigen.
    Wahrscheinlich hatte er mit seinem ersten spontanen Gefühl richtig gelegen: Er sollte entweder nach einer Studentin der Literaturwissenschaft oder der

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