Der Fotograf
schätzen.«
Sie sah ihn eindringlich an.
»Ich weiß, was Sie denken, aber Sie irren sich. Ich bin nicht verrückt. Und auch wenn ich mir für ein paar Wochen eineAuszeit nehmen würde, könnte das nichts an meiner Haltung ändern. Er läuft noch frei herum.«
»Ich halte Sie nicht für verrückt, Merce, nur …«
Ihm fiel kein passendes Wort ein.
»Schon in Ordnung«, kam sie ihm entgegen. »Ich kann Ihre Sicht nachvollziehen.« Sie stand auf. »Ich nehme es Ihnen nicht übel«, sagte sie, »aber ich werde trotzdem Susans Mörder finden.«
Sie zögerte einen Moment.
»Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich ihn habe.«
Sie war sich nicht sicher, was sie ihrem Chef sagen sollte. Sie glaube, der Araber sei es nicht gewesen; der Mörder sei noch auf freiem Fuß; sie werde nicht aufgeben, bis sie ihn gefunden hatte?
Jedesmal, wenn sie versuchte, ihre Situation zu beschreiben, klang es ganz und gar aberwitzig, melodramatisch und wenig überzeugend. Sie dachte: Die Rache hat etwas Gewöhnliches, Banales. Es ist ein gewöhnlicher Drang, der unter ungewöhnlichen Umständen entsteht. Er ist immer schuld behaftet, kompliziert und unvermeidlich. Sie wusste, dass es nicht richtig war, es sich so sehr zu wünschen, doch sie konnte wiederum nicht sagen, wieso.
Die Tür zu Lieutenant Burns’ Büro war angelehnt. Sie klopfte zögerlich, dann streckte sie den Kopf hinein.
Er saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm lagen zwei Dutzend Farbfotos im Format zwanzig mal fünfundzwanzig ausgebreitet. Er schaute auf und sah ihr lächelnd in die Augen.
»Ahh, Merce, Sie kommen wie gerufen. Kommen Sie rein, und werfen Sie mal einen Blick darauf.«
Sie betrat vorsichtig das Büro.
»Hier herum. Sehen Sie sich diese Fotos an.«
Sie blickte angestrengt auf die Abzüge.
Sie sah eine Gestalt, die in embryonaler Stellung in einem Kofferraum lag. Es war ein junger Mann, der ausgesehen hätte, als ob er schliefe, wäre da nicht dieser riesige Blutfleck auf seiner Brust gewesen. Detective Barren starrte die Bilder an und war verblüfft, wie seltsam friedlich das Gesicht des Mannes wirkte. Sie nahm Aufnahmen in die Hand, die den Kofferraum aus unterschiedlichen Winkeln zeigten, doch sie sah nur dieselbe Ruhe, dasselbe Blut und Gewebe. Was dieser junge Mann wohl getan haben mochte, um den Tod zu verdienen, fragte sie sich, auch wenn sie intuitiv die Antwort wusste: In neun von zehn Fällen hatte der Tod eines jungen Menschen, zumindest in Miami, mit Drogen zu tun.
»Wissen Sie, Peter, auffällig ist, dass er keine Angst hatte.«
Lieutenant Burns blickte abwartend zu ihr hoch.
»Ich meine, wir wissen genug über das, was zum Todeszeitpunkt physiologisch passiert, um ein bisschen zu spekulieren. Und der hier wirkt, na ja, ein bisschen zu entspannt. Wenn Sie oder ich überwältigt und in einen Kofferraum geworfen und irgendwohin rausgefahren würden – wohin?«
»Eine Felsschlucht in South Dade …«
»Okay, in eine Felsschlucht. Und dann mit einem Gewehr pulverisiert … es war doch ein Gewehr? Ich meine, dem Mann fehlt fast die ganze Brust …«
»Kaliber zwölf.
Ein
Schuss.«
»Also, ich will darauf hinaus, dass wir eigentlich sämtliche Anzeichen von Angst sehen müssten. Die Augen aufgerissen. Das Gesicht starr. Die Finger verkrampft. Sehen Sie, der Kerl trägt nicht mal Handschellen oder Fesseln. Wie viel von ihm ist liegengeblieben, als man ihn rausgezogen hat?«
»Etwas Blut. Etwas Gewebe.«
»Nicht viel?«
»Durchschnittliche Menge, würde ich sagen.«
»Und der Wagen. Sieht wie ein brandneuer BMW aus, oder?«
»Sechs Monate alt.«
»Ich wette«, überlegte Detective Barren laut, »der gehört einem Drogendealer von mittlerem Rang. Vielleicht zwanzig Kilo Hasch im Monat, kein richtiges Schwergewicht.«
»Wieder getroffen.«
»Hat er ihn vermisst gemeldet?«
»Das überprüfen wir gerade.«
»Also, was mir auf Anhieb dazu einfällt – natürlich reine Spekulation –, aber wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, das arme Schwein wurde woanders von jemandem erschossen, von dem er so etwas Unfreundliches nicht erwartet hat, wenn Sie verstehen, was ich meine …«
Lieutenant Burns lachte trocken auf.
»Dann haben sie ihn schnell in den Kofferraum eines Wagens geworfen, den sie rechtzeitig vorher gestohlen hatten, sind zu der Schlucht rausgefahren … wo wir ihn bald finden würden, anders als in den Everglades draußen, und da haben sie ihn abgeladen. Sieht mir nach der Idee eines etwas beschränkten kolumbianischen
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