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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Neunmillimeter?«
    »Neunmillimeter.«
    »Brauchen Sie die, um Fotos anzusehen?«
    »Nein.«
    »Wozu dann?«
    Sie antwortete nicht. Es herrschte Schweigen. Lieutenant Burns warf einen Blick auf das Dokument und sah ihr wieder ins Gesicht.
    »Lassen Sie es, Merce. Es ist vorbei. Der ist für immer und ewig aus dem Verkehr gezogen, und das ist gut so …« Er straffte plötzlich die Schultern und setzte einen amtlichen Ton auf. »Und das ist ein Befehl: Halten Sie sich von dem Fall fern. Er ist abgeschlossen. Sie laden sich nur noch mehr Kummer auf. Sie wollen sich beurlauben lassen, kein Problem. Aber nicht, um zu arbeiten. Zur Erholung. Verstanden?«
    Sie antwortete nicht. Er sah sie an, und sein Ton wurde milder.
    »Na schön, zumindest habe ich Ihnen vorschriftsmäßig die Leviten gelesen …«
    Sie lächelte. »Danke, Peter.«
    »Aber, Merce, mir zuliebe, sehen Sie zu, dass Sie in Ordnung kommen, und lassen Sie sich wieder bei der Arbeit blicken. Okay?«
    »Ich tu mein Bestes«, sagte sie.
    »Gut, nehmen Sie zuerst die Überstunden, danach, falls das nicht reicht, den Urlaub. Danach rufen Sie mich an, und wir finden eine Lösung. Ich werde dafür sorgen, dass man Ihnen die Gehaltsschecks nach Hause schickt. Unter einer Voraussetzung.«
    »Die wäre?«
    »Gehen Sie zuerst zu unserem Seelenklempner. Hören Sie, man wird Sie sowieso hinschicken, wenn Sie zurückkommen. Verlassen Sie sich drauf. Der wird nur sagen, nehmen Sie sich eine Auszeit, zwei Aspirin und melden Sie sich, wenn Sie wieder zum Dienst kommen.«
    Sie nickte.
    »Also gut, das wär’s.«
    Er stand auf und nahm den Stapel Fotos. »Kommen Sie mit zum Morddezernat? Bei den Idioten braucht man einiges an Überredungskraft, besonders, wenn sie tatsächlich mal alleine da raus sollen, um ein paar Zeugen und Indizien aufzutreiben.«
    »Nein, danke«, sagte sie. Wenn ich das nächste Mal ins Morddezernat komme, dachte sie, bringe ich ihnen einen Fall.
    Sie biss sich auf die Lippe. Oder ich stelle mich selbst.
     
    Der Besuch beim Psychologen der Dienststelle war, wie Lieutenant Burns vorausgesagt hatte, eine reine Formsache. Sie beschrieb ihm eine gewisse Unruhe, Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen sowie Anwandlungen von Depression. Sie erklärte ihm, sie fühle sich wegen Susans Tod schul dig und brauche etwas Zeit, um sich auf den Verlust einzustellen. Siehörte sich reden und dachte, wie leicht es war, eine Lüge mit einer Prise Wahrheit zu würzen, um eine glaubhafte Geschichte aufzutischen.
    Er fragte sie, ob er ihr Schlaftabletten verschreiben sollte. Sie lehnte ab. Er erklärte ihr, dass sie der Verlust wahrscheinlich weiterverfolgen werde, es sei denn, sie entschlösse sich zu einer Therapie; eine Ruhepause könne ihr in jedem Fall guttun. Er sagte ihr zu, ein entsprechendes Formular für sie auszufüllen, um ihr eine Beurlaubung aus Gesundheitsgründen zu verschaffen, so dass sie fast keine Gehaltseinbußen hätte. Schließlich erklärte er, dass er sie nach Ablauf von vier Wochen regelmäßig sehen wolle, und notierte einen Termin. Er füllte eine Karte aus, und sie schüttelten sich die Hände. Sie bedankte sich und warf die Karte weg, kaum dass sie die Tür des Büros hinter sich geschlossen hatte.
    Es war viel leichter, als sie erwartet hatte.
    Sie brauchte nicht lang, um alles, was sie benötigte, aus ihrem Schreibtisch zu räumen, auch wenn sie ständig von den Kollegen der Abteilung für Indizienanalyse unterbrochen wurde, die vorbeikamen, um zu kondolieren, Einladungen auszusprechen, ihre Freundschaft anzubieten, was sie tief berührte. Doch sie war eher aufgeregt, angespannt und wollte nur das Gebäude verlassen.
    Als sie aus der Tür des Polizeipräsidiums Miami trat, schlug ihr sengende Hitze entgegen. Die roten Klinker des Gebäudes schienen wie Kohlen zu glühen. Sie atmete langsam ein, als fürchte sie, sich die Lunge zu verbrennen, und sah, die Hand schützend über die Augen gelegt, zum Himmel. Für Sekunden schien es ihr, als wäre ein Scheinwerfer auf sie gerichtet, um sie zu observieren.
    Doch das Gefühl verging, und was blieb, war fast so etwas wie ein Hochgefühl gespannter Erwartung. Zum ersten Malseit Monaten merkte sie, wie die Depressionen, die sie niedergedrückt hatten, schwanden. Ich tue was, dachte sie. Schritt für Schritt, nichts überstürzen. Ihr fielen plötzlich die Nächte im Haus ihrer Schwester wieder ein, wenn das Baby sie mit den ersten Wimmerlauten geweckt hatte, um sich über Bauchschmerzen und

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