Der Fotograf
Detective Barren.
Etwa zwei Wochen nach ihrer Beurlaubung fuhr Detective Mercedes Barren an einem brütend heißen Nachmittag zu dem Park hinunter, in dem Susans Leiche gefunden worden war. Es war Sommer, und die Hitze stieg in einem flirrenden Dunstschleier vor ihr vom Highway auf. Sie kam zu demSchluss, dass sie bei ihrer Ermittlung an einen entscheidenden Punkt gelangt war. Die Tage, die sie auf dem Campus der University of Miami zugebracht hatte, wie auch die Durchsicht der forensischen Untersuchungsergebnisse brachten sie zu folgender Überzeugung: Vieles hatte tatsächlich dafür gesprochen, Sadegh Rhotzbadegh diesen Mord anzulasten. Er war da, als Susan verschwand, er hatte den Zeitungsartikel über ihren Fall ebenso ausgeschnitten wie die zu den anderen Morden, und die Ausführung des Verbrechens entsprach seinem Stil. Alle anderen Opfer waren geschlagen und stranguliert worden. Wäre das ihr Fall gewesen, überlegte sie, dann hätte sie nachzuweisen versucht, dass zwischen Susan und Rhotzbadegh bereits vor dem Verbrechen eine Verbindung bestanden hatte. Selbst der flüchtigste Kontakt hätte zu einer Anklage wegen vorsätzlichen Mordes gereicht, so viel war sicher. Doch Detective Barren war sich ebenso sicher, dass er die Tat nicht begangen hatte, vor allem, weil es keine beweiskräftigen Indizien für eine Verbindung zwischen ihm und dem Opfer gab.
Es ist zu einfach, dachte sie.
Sie erinnerte sich an das leichte Kopfschütteln im Gerichtssaal.
Der nicht, dachte sie. Zu offensichtlich. Alkoholrückstände. Sie runzelte die Stirn und zermarterte sich das Hirn. Finde etwas! Sie bog in die Straße zum Park ein, der im strahlenden Sonnenschein nichts von der Heimtücke und Niedertracht besaß, die sich ihr von der Mordnacht eingebrannt hatten. Sie fuhr zum Hauptparkplatz und starrte auf die trüben Wellenkräusel der Bucht, die mit dem endlosen Kobaltblau des Himmels zu verschwimmen schienen. Es regte sich kein Lüftchen; die kleinen Wellen leckten an den knorrigen Mangroven und machten dabei ein Geräusch, das entfernt an einen tropfendenWasserhahn erinnerte. Detective Barren stiegen Essensdünste in die Nase; einige Familien grillten ihren Mittagsimbiss über dem offenen Feuer. Das allgegenwärtige Lachen spielender kleiner Kinder schien wie Hintergrundmusik aus weiter Ferne zu kommen.
Sie stellte den Wagen ab und zögerte, als sie über den fast leeren Parkplatz zu den Büschen und Bäumen hinüberblickte, wo die Leiche versteckt gewesen war. Seufzend stieg sie schließlich aus, schloss ab und ging zu der Stelle. Vom Rand der geteerten Fläche aus fing sie an zu zählen. Susan wog einhundertachtzehn Pfund. Merce stellte sich vor, dass sie die Leiche ihrer Nichte auf der Schulter trug. Huckepack. Ein bewusstloser oder toter Körper wiegt schwerer. Sie dachte daran, wie klein der Araber war, wusste aber auch, dass dies nichts besagte; er hatte starke Arme. Er hätte sie mit Leichtigkeit tragen können. Aber auch das war nicht von Bedeutung. Sie zählte die Meter ab – ein, zwei, drei, bis zweiundzwanzig. Dann blieb sie stehen und betrachtete den sandigen Boden. Er hatte sie vorher getötet, dachte sie, sie hat nicht mehr mitbekommen, wie sie achtlos weggeworfen wurde.
Er
, dachte sie. Wer auch immer
er
ist.
Aber wo?, überlegte sie. Das Auto des Arabers war sauber. Absolut sauber. Die Fußmatten vor dem Beifahrersitz sowie die Bezüge der vorderen und hinteren Sitze waren mikroskopisch genauen Tests unterzogen worden. Auch Proben aus dem Kofferraum hatte man unter dem Spektrographen analysiert. Kein Blut. Kein Haar. Keine Haut. Keine Spur einer Toten.
In Gedanken notierte sie diesen Umstand auf ihrer Punkteliste.
Sie hockte sich hin und rieb an der Stelle, wo Susan gelegen hatte, den Sand zwischen den Fingern.
Komm schon, dachte sie. Eine kosmische Botschaft. Eine Idee. Irgendetwas.
Aber sie empfand nichts außer der Hitze. In der Nähe lachten Kinder. Und Susans Mörder lief irgendwo frei herum.
»Nichts«, sagte sie. »Rein gar nichts.«
Sie senkte wieder den Blick und sah plötzlich im Geist Susan vor sich liegen. Mit schrecklicher Deutlichkeit grub sich die Strumpfhose in ihren Hals ein, bildete das Blut hinter ihrem Kopf eine Lache, waren ihre Beine seitlich abgewinkelt und ihr Geschlecht entblößt.
Wie grausam, dachte sie.
Dann schüttelte sie den Kopf.
Es gibt da etwas, dachte sie. Komm schon. Sie führte sich das stumpfe Trauma an Susans Hinterkopf vor Augen. Wenn ich nur eine
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