Der Fotograf
eine M-16 und ein halbes Dutzend Ladestreifen genommen und neben seine ausgerollte Schlafmatte gelegt hatte. Links von seinem Lager stapelte er ein paar Handgranaten und rechts hielt er seine mit lichtempfindlichem Film bestückte Nikon bereit. Er zurrte seine kugelsichere Weste fest und ignorierte, wie unbequem sie war. Seine letzten Gedanken vor dem Einschlafen waren wütend gewesen – vor allem war er wütend über seinen eigenen Leichtsinn. Der gottverdammte Offizier hatte nur einen kümmerlichen Zug an die vorderste Frontlinie befohlen und nicht einmal einen Lauschposten tiefer in den Busch geschickt; also hatte Jeffers sich ohne Angst und Panik, aber mit einer gewissen Frustration gefragt, ob sie in dieser Nacht alle sterben würden. Oder zumindest die meisten von ihnen.
Dann war er in einen leichten Schlaf hinübergeglitten. Ein paar Stunden nach Mitternacht war das Lager angegriffen worden, und das Feuergefecht hatte bis in die frühen Morgenstunden gedauert.
Erst dann hatte der Feind den siegreichen Rückzug in den Dschungel angetreten. Jeffers war langsam und unter Schmerzen, blut- und dreckverschmiert aus seinem Loch gekrochen wie ein primitives Tier aus seiner Höhle. Seine Granaten und seine gesamte Munition waren in den Wirren der letzten Nacht draufgegangen. Doch dann war ihm eingefallen, dass er immer noch mehrere Filmrollen hatte, und er war im ersten Dämmerlicht aufgestanden, hatte Filme in seine Kameras eingelegt und gewartet, bis die Dämmerung den Blutzoll der letzten Nacht offenbarte. Irgendwann hatte der Morgen die Toten erreicht und in grotesken Posen festgehalten. Er entsann sich, wie der Nebel, die Kälte und der Geruch nach Kordit sich verzogen hatten und er einen Moment lang auf die verrenkten, brutal entstellten Leichen gestarrt hatte, die überdas Schlachtfeld verstreut lagen. Dann hatte er sich die Nikon geschnappt und immer wieder den Auslöser gedrückt, während er sich im Krebsgang durch das Zerstörungswerk an Menschen und Material arbeitete und dabei versuchte, den Toten gleichermaßen Schönheit und Schrecken abzuringen. So hatte es für ihn nach dem Ende des Gefechts eine eigene Schlacht gegeben.
Newsweek
hatte eins dieser Bilder für einen geradezu hellsichtigen Artikel über die fragwürdige Kompetenz der südvietnamesischen Armee ausgesucht. Er erinnerte sich genau an das Foto: ein kleiner Soldat, wahrscheinlich nicht älter als vierzehn, den es rückwärts auf eine Munitionskiste geschleudert hatte, im Tod die Augen weit aufgerissen, als betrachtete er die Zukunft, die er nun nicht mehr hatte. Es erschien etwa ein halbes Jahr, bevor Saigon fiel. Das war vor über einem Jahrzehnt, dachte er.
Ich war damals so viel jünger.
Er lächelte in sich hinein.
Athleten reden gerne über junge Beine, über Beine, die den ganzen Tag rennen können und immer noch Reserven haben, aber auch Fotografen sind darauf angewiesen. Er dachte daran, wie er nur wenige Monate später mit einer Abordnung der Nationalgarde zu Fuß durch die dichtbewachsenen Hügel von Nicaragua gelaufen war und die Rebellen mit Granatwerfern auf sie zukamen. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt und auf das wimmernde Geräusch und den dumpfen Aufschlag der Granaten gelauscht, die sich unerbittlich der Stelle näherten, zu der er und die Männer heruntergeklettert waren, um Schutz zu suchen. Er hörte im Geist, wie das Surren seines Motordrive den Lärm der Granaten übertönte, und wusste noch, dass er damals dachte, wie sehr der Krieg einem die Sinne schärfte.
Natürlich waren die Männer, mit denen er zusammen war, in alle Richtungen geflohen. Das war ansteckend, dieses Bedürfnis, vor Angst wegzurennen, und obwohl er sich nicht entsann, selbst in Panik geraten zu sein, war er ebenso schnell auf den Beinen gewesen.
Er war mit den anderen geflüchtet und hatte die gut ein Dutzend Jahre jüngeren Männer überholt, so dass er sich umdrehen und sie fotografieren konnte – eines seiner Lieblingsfotos, Blende 1,6 bei einer tausendstel Sekunde. Der gewaltsame Tod hatte sich nicht sehr verändert, dachte er. Im Hintergrund stieg eine Spirale aus Rauch und Dreck auf, während im Vordergrund drei Männer ihre Waffen und Patronengürtel wegwarfen und auf die Kamera zutaumelten. Ein vierter Mann fiel in einer Drehung tot zu Boden, von einem Schrapnell getroffen.
Life
hatte das Bild für tausendfünfhundert Dollar gekauft und im Redaktionsteil »Nachrichten aus aller Welt« gebracht. Tausendfünfhundert Dollar,
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