Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
dachte er, für den Bruchteil einer Sekunde innerhalb wochenlanger Entbehrungen, einem gewissen Maß an Furcht und viel Langeweile. Die Quintessenz des Fotojournalismus.
    Er blickte wieder zu Anne Hampton hinunter.
    Sie regte sich, und er sah, wie sie die Augen öffnete und in die Sonne blinzelte.
    »Ah, Boswell kommt zu sich!«, begrüßte er sie.
    Sie zuckte zusammen, saß augenblicklich senkrecht und rieb sich das Gesicht.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich, »ich wollte nicht eindösen.«
    »Macht nichts«, antwortete er. »Du brauchst deine Ruhe. Deinen Schönheitsschlaf.«
    Sie starrte aus dem Fenster. »Wo sind wir?«, fragte sie, doch im selben Moment fuhr ihr Kopf in Panik zu ihm herum. »Ichmeine, nur wenn Sie es mir sagen wollen, es ist nicht so wichtig. Ich war nur neugierig, und Sie müssen nichts sagen, wenn Sie nicht wollen. Tut mir wirklich leid.«
    »Es ist kein Geheimnis«, beruhigte er sie. »Die erste Station ist die Küste von Louisiana.«
    Sie nickte und öffnete das Handschuhfach, um einen der Notizblöcke herauszuholen. »Soll ich das aufschreiben?«, fragte sie.
    »Boswell«, erklärte er. »Sei Boswell.«
    Sie nickte und machte eine Notiz.
    Dann sah sie ihn mit gezücktem Bleistift an. Ihr entging nicht, dass er sie aus den Augenwinkeln heraus aufmerksam beobachtete, während er geradeaus auf den Highway blickte.
    »Du hast mich an jemanden erinnert«, erzählte er. »Eine Frau, die ich vor ein paar Jahren in Guatemala kennengelernt habe.«
    Sie sagte nichts, sondern schrieb weiter. »Erinnerung an Guatemala, vor einigen Jahren …«
    »Die eigentliche Geschichte ist oben an der Grenze passiert, wo das Militär versucht hat, ein paar versprengte Guerillagruppen hochzunehmen. Das war einer dieser kleinen Kriege, in dem Amerikaner eigentlich nichts verloren hatten, dennoch mischten sie überall mit. Ich meine, Militärberater, Hightech-Waffen, Jungs von der CIA, die in Tarnkleidung und mit verspiegelten Sonnenbrillen herumliefen, US-Marinezerstörer bei Manövern vor der Küste …« Er lachte leise und fuhr fort: »Erinnere mich daran, dass ich dir was über Selbstbetrug erzähle. Darin sind wir am besten …«
    Sie unterstrich das Wort Selbstbetrug dreimal.
    »Na, jedenfalls, bei dieser ganzen aufgemotzten Jagd auf die Guerillas wurde eine klitzekleine Eigentümlichkeit der Situation in Guatemala übersehen. Jahrelang, was sag ich, wohl eherjahrhundertelang hat es die einheimischen Indios immer am übelsten erwischt. Ich meine, sie wurden nicht als Menschen betrachtet, verstehst du? Lag zum Beispiel ein Indio-Dorf zwischen den Fronten, hat sich keiner drum geschert …«
    »Wie meinen Sie das, sich nicht drum geschert?«, fragte sie zaghaft.
    Er lächelte. »Gut, ausgezeichnet, Boswell. Fragen, die der Klärung dienen, sind immer willkommen …«
    Er schwieg und überlegte.
    »Wenn beide Seiten in Stellung gegangen waren, zwischen ihnen aber irgendeine große, wichtige Estancia lag, na ja, dann haben sie einfach die Front verlegt. Es war, als hätten sich beide Seiten stillschweigend darauf geeinigt, dass dies Sperrgebiet war. So wie Kinder beim Football. Das Aus war ein Bereich, der weniger durch Grenzlinien als vielmehr durch eine Übereinkunft in den Köpfen markiert war …«
    Er fuhr fort: »Für die Indio-Dörfer galt das nicht. Da haben sie einfach drauflos geballert. Wer ihnen zufällig in die Quere kam, nun ja, für den sah’s bös aus. So hatte ich das gemeint. Wir kamen nach einem solchen Gefecht durch eins dieser Dörfer. Ich glaube, die Regierungstruppen hatten ein paar Guerillas getötet und die umgekehrt ein paar Leute von den Regierungstruppen. Das war’s. Keine große Sache. Aber aus dem Dorf hatten sie Hackfleisch gemacht.«
    Er zögerte.
    »Babyblut. Das ist einzigartig. Es bringt nichts, Babyblut zu fotografieren, so was kauft dir keiner ab. Die Redakteure sehen sich deine Bilder an, versichern dir, wie ergreifend, wie aussagekräftig sie sind, aber sie wollen sie verflucht noch mal nicht bringen. Die Amerikaner wollen von Babyblut nichts wissen …«
    Er sah sie von der Seite an.
    »Da war eine Indio-Frau, die saß da und hielt ihr Kind im Arm. Sie sah auf, als ich sie fotografierte. Sie hatte dieselben Augen wie du. Daran musste ich denken …«
    Wieder schwieg er.
    »Ich stand neben diesem Kerl von der CIA namens, namens, verdammt, Jones oder Smith oder was weiß ich, was er mir aufgetischt hat. Er sieht die Frau und das Kind genau wie ich, und meint zu mir:

Weitere Kostenlose Bücher