Der Fotograf
›Wurde wohl von der minderwertigen Munition der Rebellen getroffen.‹ Dann sieht er mich eindringlich an und sagt: ›Die verdammten Russen jubeln diesen hinterwäldlerischen Revolutionären immer schlechte Munition unter.‹ Schöner Mist, was?«
Jeffers schwieg, bevor er weiterredete. »Ich kann mich genau an seine Worte erinnern. Er war einer von den Jungs, die eigentlich gar nicht da waren.«
Eine Weile fuhr Jeffers schweigend weiter.
»Verstehst du, was er damit sagen wollte?«
»Nicht genau«, erwiderte sie.
Ohne zu zögern nahm Jeffers eine Hand vom Lenkrad und schlug ihr fest ins Gesicht. »Wach auf! Verdammt! Pass auf! Benutze deinen Verstand!«
Sie kauerte sich ängstlich im Sitz zusammen und kämpfte gegen die Tränen an, die ihr in die Augen schossen – nicht so sehr wegen des Schmerzes, der vergleichsweise gering war, sondern wegen der Unvorhersehbarkeit.
Sie holte tief Luft und rang um Fassung. Sie hörte, wie ihre Stimme zitterte, als sie ansetzte: »Er wollte damit sagen, wir waren das nicht …«
»Richtig. Und was noch?«
»Er hat den Mord jedem anderen in die Schuhe geschoben, nur nicht …«
»Wieder richtig!« Jeffers lächelte.
»Siehst du«, meinte er, »ist es nicht leichter, deinen Verstand zu benutzen?«
Sie nickte.
»Grundlose Grausamkeit. Selbsttäuschung. Wären wir nicht da gewesen, hätte es kein Gefecht gegeben, und das Kind wäre am Leben geblieben, zumindest noch ein paar Tage oder Wochen, wer weiß. Wir waren aber da. Nur mit dem Tod wollen wir nichts zu tun haben.«
Er lachte, aber nicht über einen Witz oder irgendetwas Komisches.
»Selbstbetrug, Selbstbetrug, Selbstbetrug.«
Sie schrieb es auf.
Anne Hampton schwirrten ein Dutzend Fragen durch den Kopf, doch sie biss die Zähne zusammen und schwieg.
Nach einer Weile fuhr Jeffers fort: »Der Tod ist das Einfachste von der Welt. Die meisten denken, es wäre schwer, jemanden zu töten. Das reden sie sich ein. In Wahrheit ist es das Einfachste von der Welt. Schlag an einem beliebigen Morgen die Zeitung auf, und was siehst du? Ehemänner töten ihre Frauen, Eltern ihre Kinder, Kinder bringen sich gegenseitig um. Schwarze töten Weiße, Weiße töten Schwarze. Wir töten heimlich, und wir töten in aller Öffentlichkeit, wir töten mit Absicht und aus Versehen. Wir töten mit Pistolen, Messern, Bomben, Gewehren – was immer wir in die Finger bekommen. Aber was passiert, wenn wir eine staatlich bezuschusste Getreidelieferung nach Äthiopien streichen? Wir töten, genauso sicher und präzise, als hätten wir eine Handfeuerwaffe mitgenommen und sie einem dieser Kinder mit aufgedunsenem Bauch an die Schläfe gehalten. Eigentlich läuft es bei der Einstellung unserer Nation zum Rest der Welt letztlich darauf hinaus, wen wir an irgendeinem beliebigen Tag töten oder nicht. Und mit welchen Waffen. Außenpolitik? Hah!Wir sollten besser von unserer Todespolitik reden. Dann könnte ein Sprecher bei irgendeiner netten Pressekonferenz in Wa shington vortreten und erklären: ›Der Präsident, das Kabinett und der Kongress haben heute beschlossen, dass Indio-Bauern in Guatemala, Demonstranten in Südafrika, gewisse Elemente im Nordirlandkonflikt – wohlgemerkt auf beiden Seiten – und in diversen anderen Ländern dieser Erde dem Tod geweiht sind. Und um es, wie schon gestern und vorgestern und vorvorgestern noch einmal zu sagen, die Russen sind in Ordnung. Nicht nötig, dass dort jemand stirbt.‹« Er starrte auf den Highway und lachte.
»Ich klinge wirklich verrückt.«
Er schielte zu ihr hinüber. »Mache ich dir Angst?«
Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals, als sie fieberhaft überlegte, was er hören wollte. Sie schloss die Augen und sagte die Wahrheit. »Ja.«
»Na ja«, meinte er, »das ist wohl verständlich.«
Er schwieg eine Weile, bevor er sagte: »Also, eigentlich wollte ich das Ganze nicht gerade mit Politik anfangen. Ich meine, wir können auf einem etwas höheren Niveau miteinander reden, wenn du mich erst mal ein bisschen besser kennengelernt hast. Deshalb fahren wir in diese Richtung.«
»Darf ich Sie was fragen?«, fing sie schüchtern an.
»Hör zu«, antwortete er einen Hauch gereizt. »Du kannst jederzeit fragen. Sagte ich bereits. Zwinge mich bitte nicht, mich dauernd zu wiederholen. Ob du eine Antwort bekommst oder« – er ballte die Faust und öffnete sie wieder – »eine andere Reaktion, hängt von meiner Stimmung ab.« Er beugte sich vor, packte plötzlich den Muskel über ihrem Knie und
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