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Der Frauenhaendler

Der Frauenhaendler

Titel: Der Frauenhaendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giogio Faletti
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drehe Micky den Kopf zu und schaue ihn an. Wer weiß, ob er das nicht auch manchmal denkt. Wer weiß, ob er sich Fragen stellt oder aus bloßem Instinkt handelt. Das schnelle Auto, die schnelle Reise, die schnelle Liebe. Die Zeit, die jede mögliche Geschwindigkeit übertrifft, läuft immer noch schneller ab, weil es kein Gedächtnis gibt, das jeden einzelnen Augenblick in Erinnerung behalten könnte.
    Micky hält meinen Blick für Ungeduld.
    »Es dauert noch eine Weile. Wir müssen bis Opera fahren.«
    Mit einer beiläufigen Handbewegung lösche ich meine soeben gedachten Gedanken aus.
    »Immer mit der Ruhe. Ich habe keine Eile. Wir haben alle Zeit, die wir brauchen.«
    Ich wende den Kopf der Straße zu.
    Alle Zeit, die wir brauchen …
    Lucio würde die Ironie daran zu schätzen wissen. Wie viel Zeit brauchen wir denn eigentlich? Jetzt, da ich weiß, wer ich bin, würde ich es lieber nicht wissen. Die Erinnerung ist das Einzige, das uns die Sicherheit verschafft, existiert zu haben. Ich erinnere mich aber nicht, also werde ich auch nicht in irgendeiner Erinnerung fortleben.
    Micky biegt rechts ab, verlässt die Viale Liguria und fährt zur Auffahrt Mailand – Genua. Er fragt mich, ob ich Kokain möchte. Ich schüttele den Kopf. Er zieht einen goldenen Gegenstand aus der Jacke, ganz noblesse oblige . Das kleine Behältnis hat einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass immer genau eine Linie portioniert wird. Er schiebt es sich in die Nase und zieht kräftig. Beim anderen Nasenloch wiederholt er die Prozedur. Dann verschließt er die Dose wieder und schüttelt sie, bevor er sie wegsteckt, damit sie für den nächsten Gebrauch bereit ist.
    Er wendet sich mir zu, schaut mich an und kommentiert:
    »Gut.«
    Es fällt mir nicht schwer, das zu glauben. Leute wie er haben immer das Beste von allem.
    Kaum sind wir auf dem Zubringer nach Assago, erhöht sich die Geschwindigkeit. Die acht Zylinder des Ferrari beginnen, Benzin zu saufen und Kraft zurückzugeben. Mechanik ist ein Spiel, das mir gefällt, ein ehrliches Spiel. Gib, dann wird dir gegeben. Kokain ist Betrug. Es lässt die Menschen, wie sie sind, und verleiht ihnen das Gefühl, sie seien anders.
    Wir fahren auf die Umgehungsautobahn, und die Geschwindigkeit erhöht sich noch einmal.
    Ich habe keine Angst. Im Besonderen habe ich keine Angst zu sterben. Tatsächlich bin ich schon gestorben. Mit einem Auto zu verunglücken, das bei Tempo zweihundert dahinschießt, wäre nichts als eine formale Bestätigung, der Siegellack auf einem Brief, der bereits geschrieben ist.
    Die Ausfahrt Vigentina – Val Tidone ist unsere. Bevor wir Opera erreichen, biegen wir rechts ab. Bald darauf endet die Fahrt. Micky verringert das Tempo und fährt auf eine unbefestigte Straße, die links vom Asphalt abzweigt. Ich höre den Kies unter den Rädern und spüre wegen der harten Federung jede Unebenheit des Bodens im Rücken. Ein paar Kurven, dann erscheinen am Ende einer kurzen geraden Strecke eine Lagerhalle und das mit Blechgerippen übersäte Gelände eines Schrotthändlers. Es ist von einem Metallzaun umgeben. Ein paar Laternen bemühen sich eifrig, die Umgebung notdürftig zu beleuchten.
    Wir gelangen an ein verschlossenes Tor. Micky blendet ein paar Mal auf, und sofort löst sich eine Gestalt aus dem Halbschatten hinter dem Gitter. Im Licht der Scheinwerferkegel entpuppt sie sich als kleiner, untersetzter Mann in Arbeitshose und Jeansjacke. Geblendet wirft er einen Blick durchs Gitter.
    Er erkennt den Wagen und öffnet sofort das Tor. Wir fahren an ihm vorbei. Auf dem Weg zur Halle passieren wir Massen von aufgestapelten Autos, kubistische Formen, leblose Relikte. Eine Reihe von Totems, unter Opferung von Menschen und Blech errichtet, ohne dass irgendjemand bereit wäre, sie anzubeten.
    Micky hält auf einem Platz, auf dem bereits etliche andere Autos parken. An vorderster Front steht ein brandneuer Porsche, und direkt daneben, in all seinem Elend, der Porsche von Daytona. Lupus in fabula . Als wollte er sagen: Das bin ich, und das möchte ich gerne sein. Dann zwei Mercedes, ein 240er und eine Pagode, dann ein BMW 733i und noch viele andere Marken und Zylinderklassen. Allesamt intakt, reglos und glänzend, der reinste Spott zwischen all den Blechgehäusen um sie herum. In der Luft liegt der typische Geruch des Scheiterns nach Rost und Trauer.
    Ich schimpfe mich einen Idioten.
    Mich haben andere Gründe mit ganz anderen Risiken hierhergeführt. Für animistisch-melancholische

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