Der Frauenhaendler
Richtung der von ihm genannten Adresse. Unterwegs konnte ich meine Augen nicht von diesem geschwollenen Gesicht im flackernden Licht der Straßenlaternen lösen. Ich erinnere mich, dass er zu lächeln versuchte, was sofort von seiner gesprungenen Lippe bestraft wurde.
»Du musst mich gar nicht so anschauen. Ich versichere dir, dass ich vor den Schlägen noch hässlicher war.«
Ich brachte ihn hierher in die Wohnung, in der ich jetzt bin. Ich half ihm, sich zu säubern und sich auf dem Bett auszustrecken. Ich schaute zu, wie er die beste Position suchte, in die er seinen Körper bugsieren konnte, ohne allzu viele Schmerzen. Schließlich stellte ich ihm eine Flasche Wasser aufs Nachtschränkchen und legte die Aspirin daneben, die ich im Badezimmer gefunden hatte.
»Soll ich irgendjemanden anrufen?«
»Nein.«
»Es ist mir unangenehm, dich daran zu erinnern, aber du schuldest mir zweihunderttausend Lire.«
Wortlos zeigte er auf die Schublade vom Nachtschränkchen. Ich öffnete sie. Von den Geldscheinen, die darin lagen, zählte ich ab, was mir zustand, und steckte es in die Tasche.
Der Kommentar ließ nicht auf sich warten.
»Du bist ein Aasgeier.«
»Mag sein. Dafür bekommst du zusätzlich zum Transport noch ein Geschenk.«
Ich zog einen Kugelschreiber aus der Innentasche meiner Jacke und schrieb ein paar Buchstaben und Zahlen auf eine Zeitschrift, die neben der Nachttischlampe lag.
»Ich weiß nicht, ob du etwas damit anfangen kannst, aber das ist das Autokennzeichen der Typen, die dich zusammengeschlagen haben.«
Ein paar Monate später traf ich ihn zufällig im Negher de Milan, einem Lokal im Navigli-Viertel. Er war es, der mich ansprach. Als er mich zu einem Drink einlud, betonte er, dass er das nicht tue, um sich zu bedanken, da ihm die beiden Hunderttausender, die ich eingesackt hatte, ein mehr als üppiger Dank gewesen zu sein schienen. Jetzt wolle er nur den glücklichen Ausgang seiner Racheaktion gegen die drei Schläger feiern, die er mit Hilfe des von mir hinterlassenen Autokennzeichens hatte ausfindig machen können.
In gewisser Weise sind wir Freunde geworden, insofern zwei Mäuse, die irrtümlicherweise zusammen in einer großen Korbflasche gelandet sind, Freunde sein können. Seine Geschichte, die er mir erzählt hat, gleicht derjenigen vieler anderer Menschen, die in den Knast wandern und ohne eine dauerhafte Lösung wieder herauskommen. Jugend auf der Straße, schlechter Umgang, Großtuerei, kleine Diebstähle. Dann der Übergang zu Wohnungseinbrüchen und irgendwann auch bewaffnetem Raubüberfall. Intermezzo als rebongista , wie sich die Kokainhändler im einschlägigen Jargon nennen, um in schlechten Zeiten ein paar Lire aufzutreiben. Seine Frau hat ihn verlassen, als ihr klar wurde, dass er sich nicht ändern würde, und sie erfuhr, dass sie schwanger war. Als Carmine nach Hause kam, war die Wohnung leer, die Schränke ausgeräumt und die Schublade mit dem wenigen Geld geplündert.
Auf dem Bett lag ein Zettel.
Sie habe nicht die Absicht, ihren Sohn mit so einem Vater aufwachsen zu lassen, schrieb sie. Seither hat er sie nie wieder gesehen. Eines Tages bekam er einen Brief aus Deutschland, in dem nichts als ein Foto von einem etwa zweijährigen Kind steckte. Auf der Rückseite stand mit Kugelschreiber: Rosario.
Bei Carmines soundsovieltem Raubüberfall starben dann zwei Menschen. Ein Polizist in Zivil, der dazwischengegangen war, und ein Kunde der Bank. Jemand hat geplaudert, er wurde geschnappt und bekam zweiundzwanzig Jahre. Damals beschloss ich, die Kosten seiner Wohnung zu übernehmen, um sie, wie auch sein Auto, im Falle eines Falles nutzen zu können. Jetzt habe ich das Gefühl, dass das Geld gut angelegt war und die Wohnung eine sichere Zuflucht darstellt, wenigstens für eine Weile. Bis zu dem Moment nämlich, in dem Carmine sie im Rahmen des von den Angehörigen der Opfer angestrengten Prozesses verlieren wird. Der Deal ist eine Sache zwischen uns beiden, von der niemand etwas weiß. Die Wohnkosten überweise ich per Postanweisung in seinem Namen, und so sieht es aus, als würde weiterhin er zahlen. Dasselbe gilt für die Rechnungen.
Ich nehme meine Reisetasche und gehe ins Schlafzimmer, wo ich sie auf einen Stuhl stelle. Glücklicherweise hat mein Freund dieselben Angewohnheiten wie ich. Vor dem Bett steht ein Fernseher von Saba, daneben ein Videorekorder. Was die Technik betrifft, sind die Gauner immer auf dem neuesten Stand. Neben dem Gerät und auf einem Regal stapeln
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