Der Freigeist
hinein, und sie erstaunt allezeit selber, wenn sie von ohngefaehr ein Puenktchen trifft, welches das Puenktchen ist, das man nicht gerne treffen lassen moechte.
Juliane . Nun hoere einmal, Lisette!
Henriette . Ja, Lisette, lass uns doch hoeren, was das fuer eine schwesterliche Ermahnung ist, die sie mir erteilen will.
Juliane . Ich dir eine Ermahnung?
Henriette . Mich deucht, du sprachst davon.
Juliane . Ich wuerde sehr uebel tun, wenn ich dir das geringste sagen wollte.
Henriette . Oh! ich bitte—
Juliane . Lass mich!
Henriette . Die Ermahnung, Schwesterchen!—
Juliane . Du verdienst sie nicht.
Henriette . So erteile sie mir ohne mein Verdienst.
Vierter Aufzug
33
Der Freigeist
Juliane . Du wirst mich boese machen.
Henriette . Und ich,—ich bin es schon. Aber denke nur nicht, dass ich es ueber dich bin. Ich bin es ueber niemanden, als ueber den Adrast. Und was mich unversoehnlich gegen ihn macht, ist dieses, dass meine Schwester seinetwegen gegen mich ungerecht werden muss.
Juliane . Von welcher Schwester sprichst du?
Henriette . Von welcher?—von der, die ich gehabt habe.
Juliane . Habe ich dich jemals so empfindlich gesehen!—Du weisst es, Lisette, was ich gesagt habe.
Lisette . Ja, das weiss ich; und es war wirklich weiter nichts, als eine unschuldige Lobrede auf den Adrast, an der ich nur das auszusetzen hatte, dass sie Mamsell Henrietten eifersuechtig machen musste.
Juliane . Eine Lobrede auf Adrasten?
Henriette . Mich eifersuechtig?
Lisette . Nicht so stuermisch!—So geht's den Leuten, die mit der Wahrheit geradedurch wollen: sie machen es niemanden recht.
Henriette . Mich eifersuechtig? Auf Adrasten eifersuechtig? Ich werde, von heute an, den Himmel um nichts inbruenstiger anflehen, als um die Errettung aus den Haenden dieses Mannes.
Juliane . Ich? eine Lobrede auf Adrasten? Ist das eine Lobrede, wenn ich sage, dass ein Mann einen Tag nicht wie den andern aufgeraeumt sein kann? Wenn ich sage, dass Adrasten die Bitterkeit, worueber meine Schwester klagt, nicht natuerlich ist und dass sie ein zugestossener Verdruss bei ihm muesse erregt haben?
Wenn ich sage, dass ein Mann, wie er, der sich mit finsteren Nachdenken vielleicht nur zu sehr beschaeftiget—
Zweiter Auftritt
Adrast. Juliane. Henriette. Lisette.
Henriette . Als wenn Sie gerufen waeren, Adrast! Sie verliessen mich vorhin, unhoeflich genug, mitten in der Erhebung des Theophans; aber das hindert mich nicht, dass ich Ihnen nicht die Wiederholung Ihrer eigenen anzuhoeren goennen sollte.—Sie sehen sich um? Nach Ihrer Lobrednerin gewiss? Ich bin es nicht, wahrhaftig!
ich bin es nicht; meine Schwester ist es. Eine Betschwester, die Lobrednerin eines Freigeistes! Was fuer ein Widerspruch! Entweder Ihre Bekehrung muss vor der Tuere sein, Adrast, oder meiner Schwester Verfuehrung.
Juliane . Wie ausgelassen sie wieder auf einmal ist.
Henriette . Stehen Sie doch nicht so hoelzern da!
Adrast . Ich nehme Sie zum Zeugen, schoenste Juliane, wie veraechtlich sie mir begegnet.
Henriette . Komm nur, Lisette! wir wollen sie allein lassen. Adrast braucht ohne Zweifel unsere Gegenwart weder zu seiner Danksagung, noch zu meiner Verklagung.
Zweiter Auftritt
34
Der Freigeist
Juliane . Lisette soll hierbleiben.
Henriette . Nein, sie soll nicht.
Lisette . Sie wissen wohl, ich gehoere heute Mamsell Henrietten.
Henriette . Aber bei dem allen sieh dich vor, Schwester! Wenn mir dein Theophan aufstoesst, so sollst du sehen, was geschieht. Sie duerfen nicht denken, Adrast, dass ich dieses sage, um Sie eifersuechtig zu machen.
Ich fuehle es in der Tat, dass ich anfange, Sie zu hassen.
Adrast . Es moechte Ihnen auch schwerlich gelingen, mich eifersuechtig zu machen.
Henriette . Oh! das waere vortrefflich, wenn Sie mir hierinne gleich waeren. Alsdann, erst alsdann wuerde unsre Ehe eine recht glueckliche Ehe werden. Freuen Sie sich, Adrast! wie veraechtlich wollen wir einander begegnen!—Du willst antworten, Schwester? Nun ist es Zeit. Fort, Lisette!
Dritter Auftritt
Adrast. Juliane.
Juliane . Adrast, Sie werden Geduld mit ihr haben muessen.—Sie verdient es aber auch; denn sie hat das beste Herz von der Welt, so verdaechtig es ihre Zunge zu machen sucht.
Adrast . Allzuguetige Juliane! Sie hat das Glueck, Ihre Schwester zu sein; aber wie schlecht macht sie sich dieses Glueck zunutze? Ich entschuldige jedes Frauenzimmer, das ohne merkliche Fehler nicht hat aufwachsen koennen, weil es ohne Erziehung und Beispiele hat aufwachsen
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