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Der Freigeist

Der Freigeist

Titel: Der Freigeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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worin kann die Schoenheit der Seele anders bestehen, als in solchen Begriffen? in wuerdigen Begriffen von Gott, von uns, von unsern Pflichten, von unserer Bestimmung? Was kann unser Herz, diesen Sammelplatz verderbter und unruhiger Leidenschaften, mehr reinigen, mehr beruhigen, als eben diese Religion? Was kann uns im Elende mehr aufrichten, als sie? Was kann uns zu wahrern Menschen, zu bessern Buergern, zu aufrichtigern Freunden machen, als sie?—Fast schaeme ich mich, Adrast, mit Ihnen so ernstlich zu reden. Es ist der Ton ohne Zweifel nicht, der Ihnen an einem Frauenzimmer gefaellt, ob Ihnen gleich der entgegengesetzte ebensowenig zu gefallen scheinet. Sie koennten alles dieses aus einem beredtern Munde, aus dem Munde des Theophans hoeren.
    Vierter Auftritt
    Henriette. Juliane. Adrast.
    Henriette (bleibt an der Szene horchend stehen). St!
    Adrast . Sagen Sie mir nichts vom Theophan. Ein Wort von Ihnen hat mehr Nachdruck, als ein stundenlanges Geplaerre von ihm. Sie wundern sich? Kann es bei der Macht, die eine Person ueber mich haben muss, die ich einzig liebe, die ich anbete, anders sein?—Ja, die ich liebe.— Das Wort ist hin! es ist gesagt! Ich bin mein Geheimnis los, bei dessen Verschweigung ich mich ewig gequaelet haette, von dessen Entdeckung ich aber darum nichts mehr hoffe.—Sie entfaerben sich?—
    Juliane . Was habe ich gehoert? Adrast!—
    Adrast (indem er niederfaellt). Lassen Sie mich es Ihnen auf den Knien zuschwoeren, dass Sie die Wahrheit gehoert haben.—Ich liebe Sie, schoenste Juliane, und werde Sie ewig lieben. Nun, nun liegt mein Herz klar und aufgedeckt vor Ihnen da. Umsonst wollte ich mich und andere bereden, dass meine Gleichgueltigkeit gegen Henrietten die Wirkung an ihr bemerkter nachteiliger Eigenschaften sei; da sie doch nichts, als die Wirkung einer schon gebundenen Neigung war. Ach! die liebenswuerdige Henriette hat vielleicht keinen andern Fehler, als diesen, dass sie eine noch liebenswuerdigere Schwester hat.—
    Henriette . Bravo! die Szene muss ich den Theophan unterbrechen lassen. —(Geht ab.) Fuenfter Auftritt
    Juliane. Adrast.
    Adrast (indem er gaehling aufsteht). Wer sprach hier?
    Juliane . Himmel! es war Henriettens Stimme.
    Adrast . Ja, sie war es. Was fuer eine Neugierde! was fuer ein Vorwitz! Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler, die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich koennte sie nicht lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen gleichgueltig gegen eine jede andere waere.
    Juliane . Was fuer Verdruss, Adrast, werden Sie mir zuziehen!
    Vierter Auftritt
    38
    Der Freigeist
    Adrast . Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruss durch meine ploetzliche Entfernung zu ersparen wissen.
    Juliane . Durch Ihre Entfernung?
    Adrast . Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstaende sind von der Beschaffenheit, dass ich die Guete Lisidors missbrauchen wuerde, wenn ich laenger bliebe. Und ueber dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen, als ihn bekommen.
    Juliane . Sie ueberlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten Sie ihn bekommen?
    Adrast . Ich kenne die Vaeter, schoenste Juliane, und kenne auch die Theophane. Erlauben Sie, dass ich mich nicht naeher erklaeren darf. Ach! wenn ich mir schmeicheln koennte, dass Juliane—Ich sage nichts weiter. Ich will mir mit keiner Unmoeglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane kann den Adrast nicht lieben; sie muss ihn hassen.—
    Juliane . Ich hasse niemanden, Adrast.—
    Adrast . Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan.—Ha!
    hier koemmt er selbst.
    Sechster Auftritt
    Theophan. Adrast. Juliane.
    Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten?
    Adrast . Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen. Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich wieder an sich zu ziehen?—Wie wohl laesst es Ihnen, Theophan, und Ihrem ehrwuerdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein.
    Theophan . Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort.
    Juliane . Erlauben Sie, dass ich mich entferne. Theophan, ich schmeichle mir, dass Sie einige Hochachtung fuer mich haben; Sie werden keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, dass ich meine Pflicht kenne, und dass sie mir zu heilig ist, sie auch nur in Gedanken zu verletzen.
    Theophan .

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