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Der Freigeist

Der Freigeist

Titel: Der Freigeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Schwester, ihr Bestreben leichtsinniger zu scheinen, als sie ist, ihre Begierde Spoettereien zu sagen, sich nur von einer gewissen Zeit herschrieben? Wie, wenn diese gewisse Zeit die Zeit Ihres Hierseins waere, Adrast?
    Adrast . Was sagen Sie?
    Juliane . Ich will nicht sagen, dass Sie ihr mit einem boesen Exempel vorgegangen waeren. Allein wozu verleitet uns nicht die Begierde zu gefallen? Wenn Sie Ihre Gesinnungen auch noch weniger geaeussert haetten: —und Sie haben sie oft deutlich genug geaeussert.—so wuerde sie Henriette doch erraten haben. Und sobald sie dieselben erriet, so bald war der Schluss, sich durch die Annehmung gleicher Gesinnungen bei Ihnen beliebt zu machen, fuer ein lebhaftes Maedchen sehr natuerlich. Wollen Sie wohl nun so grausam sein, und ihr dasjenige als ein Verbrechen anrechnen, wofuer Sie ihr, als fuer eine Schmeichelei, danken sollten?
    Adrast . Ich danke niemanden, der klein genug ist, meinetwegen seinen Charakter zu verlassen; und derjenige macht mir eine schlechte Schmeichelei, der mich fuer einen Toren haelt, welchem nichts als seine Art gefalle, und der ueberall gern kleine Kopien und verjuengte Abschilderungen von sich selbst sehen moechte.
    Juliane . Aber auf diese Art werden Sie wenig Proselyten machen.
    Adrast . Was denken Sie von mir, schoenste Juliane? Ich Proselyten machen? Rasendes Unternehmen! Wem habe ich meine Gedanken jemals anschwatzen oder aufdringen wollen? Es sollte mir leid tun, sie unter den Poebel gebracht zu wissen. Wenn ich sie oft laut und mit einer gewissen Heftigkeit verteidiget habe, so ist es in der Absicht, mich zu rechtfertigen, nicht, andere zu ueberreden, geschehen. Wenn meine Meinungen zu gemein wuerden, so wuerde ich der erste sein, der sie verliesse, und die gegenseitigen annaehme.
    Juliane . Sie suchen also nur das Sonderbare?
    Adrast . Nein, nicht das Sonderbare, sondern bloss das Wahre; und ich kann nicht dafuer, wenn jenes, leider!
    eine Folge von diesem ist. Es ist mir unmoeglich zu glauben, dass die Wahrheit gemein sein koenne; ebenso unmoeglich, als zu glauben, dass in der ganzen Welt auf einmal Tag sein koenne. Das, was unter der Gestalt der Wahrheit unter allen Voelkern herumschleicht, und auch von den Bloedsinnigsten angenommen wird, ist gewiss keine Wahrheit, und man darf nur getrost die Hand, sie zu entkleiden, anlegen, so wird man den scheusslichsten Irrtum nackend vor sich stehen sehen.
    Juliane . Wie elend sind die Menschen, und wie ungerecht ihr Schoepfer, wenn Sie recht haben, Adrast! Es muss entweder gar keine Wahrheit sein, oder sie muss von der Beschaffenheit sein, dass sie von den meisten, ja von allen, wenigstens im Wesentlichsten, empfunden werden kann.
    Adrast . Es liegt nicht an der Wahrheit, dass sie es nicht werden kann, sondern an den Menschen.—Wir sollen gluecklich in der Welt leben; dazu sind wir erschaffen; dazu sind wir einzig und allein erschaffen. Sooft die Wahrheit diesem grossen Endzwecke hinderlich ist, sooft ist man verbunden, sie beiseite zu setzen; denn nur wenig Geister koennen in der Wahrheit selbst ihr Glueck finden. Man lasse daher dem Poebel seine Irrtuemer; man lasse sie ihm, weil sie ein Grund seines Glueckes und die Stuetze des Staates sind, in welchem er fuer sich Sicherheit, Ueberfluss und Freude findet. Ihm die Religion nehmen, heisst ein wildes Pferd auf der fetten Weide losbinden, das, sobald es sich frei fuehlt, lieber in unfruchtbaren Waeldern herumschweifen und Mangel leiden, als durch einen gemaechlichen Dienst alles, was es braucht, erwerben will.— Doch nicht fuer den Poebel allein, auch noch fuer einen andern Teil des menschlichen Geschlechts muss man die Religion beibehalten. Fuer den schoensten Teil, meine ich, dem sie eine Art von Zierde, wie dort eine Art von Zaume ist. Das Religioese stehet der weiblichen Bescheidenheit sehr wohl; es gibt der Schoenheit ein gewisses edles, gesetztes und schmachtendes Ansehen—
    Dritter Auftritt
    37
    Der Freigeist
    Juliane . Halten Sie, Adrast! Sie erweisen meinem Geschlechte ebensowenig Ehre, als der Religion. Jenes setzen Sie mit dem Poebel in eine Klasse, so fein auch Ihre Wendung war; und diese machen Sie aufs hoechste zu einer Art von Schminke, die das Geraete auf unsern Nachttischen vermehren kann. Nein, Adrast!
    die Religion ist eine Zierde fuer alle Menschen; und muss ihre wesentlichste Zierde sein. Ach! Sie verkennen sie aus Stolze; aber aus einem falschen Stolze. Was kann unsre Seele mit erhabenern Begriffen fuellen, als die Religion? Und

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