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Der Freigeist

Der Freigeist

Titel: Der Freigeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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muessen; aber ein Frauenzimmer zu entschuldigen, das eine Juliane zum Muster gehabt hat, und eine Henriette geworden ist: bis dahin langt meine Hoeflichkeit nicht.—
    Juliane . Sie sind aufgebracht, Adrast: wie koennten Sie billig sein?
    Adrast . Ich weiss nicht, was ich jetzo bin; aber ich weiss, dass ich aus Empfindung rede.—
    Juliane . Die zu heftig ist, als dass sie lange anhalten sollte.
    Adrast . So prophezeien Sie mir mein Unglueck.
    Juliane . Wie?—Sie vergessen, in was fuer Verbindung Sie mit meiner Schwester stehen?
    Adrast . Ach! Juliane, warum muss ich Ihnen sagen, dass ich kein Herz fuer Ihre Schwester habe?
    Juliane . Sie erschrecken mich.—
    Adrast . Und ich habe Ihnen nur noch die kleinste Haelfte von dem gesagt, was ich Ihnen sagen muss.
    Juliane . So erlauben Sie, dass ich mir die groessre erspare. (Sie will fortgehen.) Adrast . Wohin? Ich haette Ihnen meine Veraenderung entdeckt, und Sie wollten die Gruende, die mich dazu bewogen haben, nicht anhoeren? Sie wollten mich mit dem Verdachte verlassen, dass ich ein unbestaendiger, leichtsinniger Flattergeist sei?
    Dritter Auftritt
    35
    Der Freigeist
    Juliane . Sie irren sich. Nicht ich; mein Vater, meine Schwester, haben allein auf Ihre Rechtfertigungen ein Recht.
    Adrast . Allein? Ach!—
    Juliane . Halten Sie mich nicht laenger—
    Adrast . Ich bitte nur um einen Augenblick. Der groesste Verbrecher wird gehoert—
    Juliane . Von seinem Richter, Adrast; und ich bin Ihr Richter nicht.
    Adrast . Aber ich beschwoere Sie, es jetzt sein zu wollen. Ihr Vater, schoenste Juliane, und Ihre Schwester werden mich verdammen, und nicht richten. Ihnen allein traue ich die Billigkeit zu, die mich beruhigen kann.
    Juliane (beiseite). Ich glaube, er beredet mich, ihn anzuhoeren.—Nun wohl! so sagen Sie denn, Adrast, was Sie wider meine Schwester so eingenommen hat?
    Adrast . Sie selbst hat mich wider sich eingenommen. Sie ist zu wenig Frauenzimmer, als dass ich sie als Frauenzimmer lieben koennte. Wenn ihre Lineamente nicht ihr Geschlecht bestaerkten, so wuerde man sie fuer einen verkleideten wilden Juengling halten, der zu ungeschickt waere, seine angenommene Rolle zu spielen. Was fuer ein Mundwerk! Und was muss es fuer ein Geist sein, der diesen Mund in Beschaeftigung erhaelt! Sagen Sie nicht, dass vielleicht Mund und Geist bei ihr wenig oder keine Verbindung miteinander haben. Desto schlimmer. Diese Unordnung, da ein jedes von diesen zwei Stuecken seinen eignen Weg haelt, macht zwar die Vergehungen einer solchen Person weniger strafbar; allein sie vernichtet auch alles Gute, was diese Person noch etwa an sich haben kann. Wenn ihre beissenden Spoettereien, ihre nachteiligen Anmerkungen deswegen zu uebersehen sind, weil sie es, wie man zu reden pflegt, nicht so boese meinet; ist man nicht berechtiget, aus eben diesem Grunde dasjenige, was sie Ruehmliches und Verbindliches sagt, ebenfalls fuer leere Toene anzusehen, bei welchen sie es vielleicht nicht so gut meinet? Wie kann man eines Art zu denken beurteilen, wenn man sie nicht aus seiner Art zu reden beurteilen soll? Und wenn der Schluss von der Rede auf die Gesinnung in dem einen Falle nicht gelten soll, warum soll er in dem andern gelten? Sie spricht mit duerren Worten, dass sie mich zu hassen anfange; und ich soll glauben, dass sie mich noch liebe?
    So werde ich auch glauben muessen, dass sie mich hasse, wenn sie sagen wird, dass sie mich zu lieben anfange.
    Juliane . Adrast, Sie betrachten ihre kleinen Neckereien zu strenge, und verwechseln Falschheit mit Uebereilung. Sie kann der letztern des Tages hundertmal schuldig werden; und von der erstern doch immer entfernt bleiben. Sie muessen es aus ihren Taten, und nicht aus ihren Reden, erfahren lernen, dass sie im Grunde die freundschaftlichste und zaertlichste Seele hat.
    Adrast . Ach! Juliane, die Reden sind die ersten Anfaenge der Taten, ihre Elemente gleichsam. Wie kann man vermuten, dass diejenige vorsichtig und gut handeln werde, der es nicht einmal gewoehnlich ist, vorsichtig und gut zu reden? Ihre Zunge verschont nichts, auch dasjenige nicht, was ihr das Heiligste von der Welt sein sollte. Pflicht, Tugend, Anstaendigkeit, Religion: alles ist ihrem Spotte ausgesetzt.—
    Juliane . Stille, Adrast! Sie sollten der letzte sein, der diese Anmerkung machte.
    Adrast . Wieso?
    Juliane . Wieso?—Soll ich aufrichtig reden?
    Adrast . Als ob Sie anders reden koennten.—
    Dritter Auftritt
    36
    Der Freigeist
    Juliane . Wie, wenn das ganze Betragen meiner

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