Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Fremde aus dem Meer

Titel: Der Fremde aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy J. Fetzer
Vom Netzwerk:
glücklicher werden wir alle sein.«
    Hank stellte sich mit dem Rücken zur Glastür, faltete die Zeitung auseinander und schüttelte die feuchten Kaffeereste von der Zeitung in die Spüle. »Verflucht! Sie wird ‘nen Anfall kriegen!«

26
    Feigling!
    War Tess der einzige Mensch, dem die Ehre zuteil wurde, einen Platz in deinem Herzen zu bekommen?
    Ging sie in den Tod, weil sie sich dir als Freundin verpflichtet fühlte?
    Das waren harte Worte, mit denen sie zu kämpfen hatte. Und diese Worte hatten sie am heutigen Tag schon zweimal zu der Seemannskiste geführt. Sie hatte bereits drei Wachssiegel entfernt. Von ihrem Bikini tropfte das Wasser auf den Teppich ihres Schlafzimmers, während sie sich in Gedanken versunken das Handtuch um die Taille schlang und den geheimnisvollen Kasten anstarrte. Das Band mit dem Schlüssel in ihrer Hand forderte sie auf, die Seemannskiste zu öffnen, die über hundert Jahre verschlossen gewesen war. Mit der Rückseite ihres Unterarms rieb sie sich über die Nase, kniete sich hin, schob hastig den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um.
    Zögernd hielt sie sich an dem schrägen Rand fest. Als hätte ihr jemand plötzlich einen Stups gegeben, fuhr sie schnell mit ihrem Fingernagel unter das letzte Wachssiegel und brach es auf. Sie holte tief Luft und zwängte den Deckel einen Spalt breit nach oben. Muffig und trocken stieg ihr der Moder des Alters in die Nase.
    Hör auf, es hinauszuzögern! Tu es!
    Sie schob den Deckel zurück, wobei die ledernen Scharnierstreifen unheimlich knarrten, bevor er mit einem dumpfen Schlag umklappte. Schwer atmend umklammerte sie den Rand der Kiste.
    O Gott!
    Zuoberst auf dem wirren Haufen lag Tess’ grell neongelbe Sporttasche, von Wasserflecken überzogen, aber immer noch so hell wie beim letzten Mal, als sie sie gesehen hatte. Vor mehr als einer Woche. Sie streckte die zitternde Hand nach der Tasche aus und zog sie an ihre Brust. Penny schloss die Augen und kämpfte mit dem Ansturm heißer Tränen, mit dem neuerlichen Angriff des Schuldgefühls. Oh, mein Gott, was habe ich ihr angetan? Wie konnten Tess’ Sachen in diese Kiste kommen? Es widersprach allen Naturgesetzen. Sie hätten irgendwo an irgendeiner Küste angespült werden müssen. Schniefend legte Penny die Tasche beinahe ehrfürchtig zur Seite und starrte in die Kiste.
    Sie war nicht so voll, wie sie es erwartet hatte. Dann kam ihr der Gedanke, dass sie noch niemals etwas so ... Normales gesehen hatte. Schachteln aus dünnem Balsaholz in allen Größen, mit Bändern zusammengehalten, und ein Buch mit einem Umschlag aus Gobelinstoff. Beinahe alles andere war in ausgebleichtem Stoff oder Musselin eingebunden. Vorsichtig hob sie die größte Schachtel heraus, löste das Band und hob den Deckel hoch. Geräuschvoll zog sie den Atem ein, wobei sie ein reich verziertes Kleid vorsichtig ausschüttelte.
    Dunkelblau gefärbte Seide raschelte über ihren Schoß und fühlte sich überraschend frisch und neu an. Das mit Fischbein verstärkte Mieder war mit kleinen Perlen und winzigen Kristallen besetzt. Es war atemberaubend. Vom Stil her war es alt. Sie hätte es auf die Zeit um 1800 datiert. Bauschige Ärmel verengten sich am Ellenbogen trichterförmig, und eine tief liegende, spitz zulaufende Taille raffte ungeheure Mengen sich bauschender Seide zusammen. Für die Unterkleidung gab es ein blaues Seidenband. Auf dem Boden der Schachtel lagen dazu passende Unterröcke, feine Schlüpfer und eine niedliche tulpenförmige Tasche. Weibliche Dekadenz, dachte Penny und schüttelte den Kopf. Und welchen Sinn hatte es, all das über so viele Jahre aufzubewahren?
    Sorgsam legte sie das Kleid in die Schachtel zurück. Im selben Augenblick sah sie den unter den Petticoats hervorlugenden Zettel. Pergament? Sie hielt das dicke, vergilbte Papier ins Sonnenlicht, und ihr Herz begann heftiger zu schlagen.
    Penn,
    ich habe niemals genug Geld gehabt, um dir etwas Besonderes zu schenken. Deshalb habe ich auch sofort, als ich diesen Stoff gesehen habe, an dich gedacht. Ich habe das Kleid selbst entworfen, und ich hoffe, dass du eines Tages die Gelegenheit hast, es zu tragen. Vielleicht zu dem großen Premierenempfang nächsten Monat?
    In Liebe
    Tess
    Penelopes Blick flog zwischen dem Koffer, dem Kleid und dem kurzen Brief hin und her.
    »Tess!«, flüsterte sie und geriet einen Augenblick aus dem Gleichgewicht, während das Pergament in ihrer Hand knisternd zerbröckelte. Sie nahm das in Gobelin gebundene Buch und schlug es

Weitere Kostenlose Bücher