Der Fremde aus dem Meer

Penny. Zeitreise. Zweihundert Jahre. Sie konnte es nicht glauben, wollte es nicht glauben, obwohl die Zeichen eine andere Sprache sprachen. Das Beweismaterial ist einfach überwältigend, sagte eine Stimme in ihrem Kopf, und ihr Blick senkte sich auf die Tagebücher. Eines lag geöffnet vor ihr, und ohne das Buch zu berühren, las sie von der Geburt von Tess’ erstem Kind, und ihr Herz weitete sich vor Freude. Ein Baby!
    Die Geburt eines Kindes ist die Hölle, die Schmerzen unbeschreiblich, ganz zu schweigen von den Unzulänglichkeiten dieses Jahrhunderts. Aber ich würde es alles noch mal machen, wo ich jetzt unseren allerliebsten Sohn in Armen halte. Er ist wunderschön und gesund, Penn. Und Dane und ich haben ihm den Namen eines teuren Freundes gegeben. Ich vermute, dass ich nun für einige Zeit ans Bett gebunden bin und nichts zu tun habe. (Dane besteht darauf.) Ich sollte dir nun etwas über den Namensvetter unseres Sohnes Ramsey erzählen.
    Das Blut gefror ihr in den Adern. Sie riss das Buch an sich, während sie heftig schluckte und ihre Lippen mit der Zunge befeuchtete. Das kann nicht er sein! Das ist nicht möglich! Sie straffte sich und las hastig weiter.
    Die Wand der Zeit kam zurück und forderte eine menschliche Seele. Das Gefühl der Übelkeit trat wieder auf. Niemand außer mir erlebte diese Empfindungen. Niemand außer mir - und Ramsey. Und er ließ sich von der Wand mitnehmen.
    Weil Ramsey sich opferte, lebe ich hier mit dem Mann, den ich verehre, und genieße ein Leben, wovon ich geträumt habe - das Leben, das wir uns gewünscht haben, als wir einsame Kinder waren, Penn. Ramsey gab für mich alles auf, was er kannte und woran er hing, und bis auf den heutigen Tag bricht es mir dm Herz, wenn ich daran denke, wie er durch die Wand gesaugt wurde. Ich werde niemals wissen, ob er am Leben ist, wohin er ging, denn er trat durch das Unbekannte, damit ich bei Dane bleiben konnte. Ramsey lebt für das jeweils nächste Abenteuer. Er ist ein wirklicher Playboy, aber ich glaube nicht, dass er auf das vorbereitet war, was jenseits der Wand war. Wenn es auch nur die allergeringste Chance für dich geben sollte, jemals mit Ramsey Malachai Gamaliel O’Keefe zusammenzutreffen, sei nett zu ihm, und hänsele ihn nicht wegen dieser lächerlichen Vornamen.
    Sie hob ihren Blick von dem Buch und starrte ins Leere. Das Tagebuch entfiel ihren schlaffen Händen. Er kam durch eine Wand über dem Meer. Das würde auch erklären, warum sie Tess’ Leiche nicht gefunden hatten.
    Und an ihrer Stelle Ramsey.
    Mit überwältigender Gewalt brachen die Gedanken und Vorstellungen über sie herein. In erstaunlicher Klarheit stand der Tag, an dem sie ihn retteten, vor ihrem geistigen Auge. Da war das unvermittelte Verschwinden des Sonnenlichts, von dem sie geglaubt hatte, sie habe es sich nur eingebildet. Da waren seine Kleider, die Waffen, seine Unkenntnis all dessen, was auch nur irgendwie modern war. Das Gefühl, von ihm angebetet und getröstet zu werden.
    Und dass er sie angelogen hatte!
    Seine tiefe Stimme unterbrach ihre Gedanken. Sie kam wie aus weiter Feme, als er ihren Namen rief. Sie rannte aus dem Zimmer, verfing sich in dem langen Handtuch und wäre beinahe die Treppe hinuntergefallen.
    Er ging hindurch in das Unbekannte.
    Als sie auf den Klang der Stimme zulief, fühlte sie sich benommen und fröstelte. Sie prallte gegen den Türpfosten in der Küche und warf den Mülleimer um.
    Geistesabwesend stellte sie ihn wieder auf und stopfte den Müll hinein. Auf halbem Weg zum Eimer hielt ihre Hand inne. Wie gebannt starrte sie auf die nasse Zeitung, auf die Schlagzeile des braungefleckten und zerknitterten Unterhaltungsteils. Langsam richtete sie sich auf.
    Die eisige Königin Hollywoods schmilzt in den Armen des Piratenkapitäns dahin.
    Darunter war ein grobkörniges Foto von ihr abgebildet, das zeigte, wie sie Ramsey zu dem gemieteten Auto zerrte. Ein zweites Foto, das sie beide im Inneren des Jaguars zeigte, war unmittelbar neben dem ersten.
    Das Blut rauschte ihr in den Ohren, und ihr wurde heiß vor Zorn und Empörung. Verfluchter Max! Darunter stand: »Schauspielerin Penelope Hamilton braust mit ihrem geheimnisvollen Kavalier vor den Paparazzi davon.« Der Artikel begann mit den Worten: »Während der Suche nach ihrer vermissten Freundin, der Turnerin Tess Renfrew, verhilft die mit dem Oscar preisgekrönte Schauspielerin Penelope Hamilton einem Mann zur Flucht aus einem Krankenhaus auf den Bahamas. Die Behörden