Der Fremde aus dem Meer
Woche überfallen haben?«
»Die Hinweise sind spärlich. Und manchmal kommen die Täter auch an den Ort ihres Verbrechens zurück. Sind sie vielleicht zurückgekommen?«
Ramsey antwortete nicht. Er starrte ihn mit dunklem Blick unverwandt an. Doch schien er kurz davor, etwas sagen zu wollen.
»Wann werden Sie uns trauen, dass wir unsere Arbeit tun, O’Keefe?«
Ramsey ließ eine Papiertüte voll Sandwiches in Mathers Schoß fallen und sagte: »Vielleicht, wenn Ihr aufhört, mich zu verfolgen.« Dann wandte er sich ab und gab den Wachen ein Zeichen, ehe er über die Mauer kletterte.
29
»Da ist der Wagen.« Der Leibwächter deutete auf den roten Mustang und stieg auf die Bremsen. Ramsey löste den Gurt und öffnete den Schlag.
»Macht Euch auf den Weg, damit sie Ihnen nicht wieder entwischt«, sagte Ramsey zu dem Leibwächter. In seiner tiefen Stimme lag Autorität, und es schwang auch die Drohung mit, er werde sonst die ganze Mannschaft entlassen. Wütend verließ er den Jeep.
Sie hatte ihn überlistet, die kleine Hexe. Während er hinter verschlossenen Türen das Material über die Rothmeres durchgegangen war, hatte sie sich vom Grundstück gestohlen. Er musste noch die Zeitungsausschnitte über die Blackwells durchackern, als er entdeckt hatte, dass sie sich hinten in ihrem Auto, das zur Reparatur gebracht werden sollte, versteckt hatte. Sie hatte es ausgenutzt, dass er nicht wusste, was zu tun war, wenn man diese Maschinen reparierte. Zugegeben, es war schlau gewesen, aber das nächste Mal würde er seine Drohung wahrmachen und sie ans Bett binden. Tagtäglich stellte sie seine Geduld auf eine harte Probe, und bei aller Barmherzigkeit des Allmächtigen, er konnte nicht verstehen, was sie hier an den Docks wollte.
Vertraute Gerüche und Geräusche besserten seine Laune. Er blickte auf die Menschenmenge, die eine lange Schlange vor dem offenen Eingang eines Lagerhauses bildete. Das Gebäude sah ganz ordentlich aus, was man von den Eintretenden nicht sagen konnte. Es sind die Ärmsten in meinem Land, dachte er. Die
Hoffnungslosigkeit, die aus ihren Blicken sprach, erinnerte ihn an Freund und Feind während der Revolution.
Er schlich sich an der Seite des Gebäudes entlang bis zu einer geöffneten Doppeltür. Wachsam um sich blickend, schlüpfte er hinein. Es herrschte eine drückende Hitze, und sofort rann ihm der Schweiß von der Stirn. Rasch ließ er seinen prüfenden Blick durch das Innere des Speichers gleiten. Auf nahezu der Hälfte des riesigen, nackten Steinbodens standen die Feldbetten Reihe an Reihe, darunter, ordentlich verstaut, persönlichen Habseligkeiten. Kinder und Erwachsene saßen ruhig da; nur ihr leises, summendes Gemurmel erfüllte die feuchtwarme Luft. Ramseys Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen, und er sah die Verzweiflung in den Augen. Und den Hunger. Das Gleiche hatte er schon einmal erlebt, und zwar am eigenen Leib.
Suchend ging sein Blick durch den Raum, während er nach einem Grund dafür suchte, dass sie sich hier unter den Ärmsten der Armen aufhielt. Aber er konnte sie nirgendwo entdecken, und sein Zorn verwandelte sich schlagartig in Angst. Hatte der Leibwächter sich getäuscht? Hatte sie die Wachleute absichtlich irregeführt und lag jetzt irgendwo verletzt und hilflos herum? Mein Gott, die Vorstellung war ihm unerträglich, zumal schon den ganzen Tag über ein Streit zwischen ihnen geschwelt hatte. Er schwor sich, dass ... Ram wirbelte herum, während sein Blick verzweifelt die Reihe der Menschen absuchte, die kleine Tabletts trugen. Er blickte hinüber zu den dampfenden Kesseln und den flink hin und her eilenden Beschäftigten.
Er hätte schwören können, ihre Stimme gehört zu haben.
Er bahnte sich einen Weg zwischen den Menschen hindurch, wobei ihn der Geruch von ungewaschenen Körpern nur allzu sehr an die Tage an Bord seines Schiffes erinnerte. Als er sich dem Küchenbereich näherte, blieb er plötzlich stehen. Das Herz drehte sich ihm im Leibe um. Fast hätte er sie nicht wiedererkannt. Sie trug braune abgeschnittene Hosen, ein schwarzes, ärmelloses
Hemd, und ihr Gesicht war ungeschminkt. Auf ihrem Kinn saß ein schwarzer Fleck. Ihr dunkelrotes Haar war zurückgekämmt und mit einer kleinen Kappe bedeckt, deren breiter Schirm nach hinten zeigte. Ihre schweißglänzende Haut war von den langen Stunden in der Sonne, in denen sie ihm ausgewichen war, gebräunt.
Sie beugte sich über dampfende Kessel und verteilte mit einer Kelle Essen auf die Tabletts,
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