Der Fremde aus dem Meer
mehr zu sich selbst machte. Die Wunder dieses Jahrhunderts erstaunten ihn noch immer. Den Weg eines Papierzettels verfolgen?
Und wo blieb Hank?
Während Noal wegging, um mit seinen Männern zu sprechen, angeheuerte Waffenträger, wie Penny sie nannte, ging Ramsey durch die Küche zu der Treppe, die in den Keller führte. Noch als er hinunterstieg, fragte er sich, warum Margaret sich dafür entschieden hatte, hier unten zu wohnen. Bis er die Räume sah. Sie waren lichtdurchflutet und schöner, als er es sich vorgestellt hatte. Weiße Wände, ein hellgrüner Teppich und einige hohe Pflanzen gaben dem Wohnzimmer sein heiteres Gepräge. Eine Tür zur Linken führte zum Schlafzimmer der Haushälterin, und unter die elegant geschnittene Treppe war eine kleine, zweckmäßige Küche eingebaut. Ramsey war beeindruckt. Doch sein erfreutes Lächeln war wie weggewischt, als er Hank mit herunterhängenden Schultern vor einem Bord stehen sah. Ram konnte die Mutlosigkeit spüren, die der Mann ausstrahlte, und runzelte die Stirn.
»Kamerad?«
Hank drehte sich um und schniefte, als Ramsey näher herankam.
»Der Brief?«
Hank überreichte ihm den Brief, und Ramsey untersuchte ihn. Es war dünnes Papier, von einer Qualität, wie sie in diesem Jahrhundert üblich war, wie er inzwischen wusste. Außer Meggies Adresse stand nichts auf dem Umschlag. Er nahm den Brief heraus und las.
Coral Key Park
In der Nähe des Vogelgeheges.
13 Uhr.
Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Wer immer in diesen dunklen Gefährt gewesen war, hatte darauf gewartet, dass sie die Diamanten ablieferten, und Ramsey war überrascht, dass sie mit dem Leben davongekommen waren.
»Jeder hätte das in den Briefkasten stecken können«, sagte Hank verteidigend. »Man wird auch keine Fingerabdrücke finden, die zu irgendetwas führen. Er ist durch zu viele Hände gegangen.«
Hank wandte seinen Blick dem Bord zu und den gerahmten Fotografien, die darauf standen.
»Ist das Penelope?« Ram trat näher. Immer wieder war er fasziniert von dem Vorgang, der es ermöglichte, Bilder auf Papier festzuhalten.
»Auf dem Foto hier ist sie vier oder fünf.«
Ram fiel der düstere Gesichtsausdrucks auf. Es sah so aus, als ob in dem Körper des Kindes ein Erwachsener steckte. Er fragte sich einen Augenblick, was wohl geschehen war, dass sie sogar schon damals so unnahbar ausgesehen hatte. Die mageren Arme vor der Brust verschränkt, lag stummer Trotz auf ihrem Gesicht. Kein Lächeln, noch nicht einmal die ungeheure Freude der Unschuldigen.
»Sie war kein glückliches Kind«, sagte Hank mehr zu sich selbst. »Sie kannte nicht einmal ihren Namen. Sie war auch nicht gerade gesprächig. Ein bemitleidenswertes Ding, so abgemagert und mit dem roten Haar. Das Einzige, was sie besaß, war dieses verdammte Medaillon, das sie nie aus den Händen gab und auf dem sie sogar herumgekaut hat.« Er schüttelte den Kopf und kicherte beinahe. »Margaret hat sie hinter einem Laden, in einer Karre schlafend, gefunden. Sie hatte gerade einen furchtbaren Albtraum.«
»Ja«, fuhr Hank fort, »so haben sie überhaupt gemerkt, dass sie sprechen konnte. In dem Traum hat sie nämlich laut einen Namen geschrien. Dann hat sie auch noch wild um sich geschlagen und sich dabei selbst verletzt.« Hank zuckte mit den Schultern. Er verstand das nicht. »Ich glaube, dass sie immer noch Alpträume hat. Aber natürlich lässt sie sich nichts anmerken.«
Doch sie weigert sich, das anzugehen, was immer die Ursache sein könnte, dachte Ram. Um Hilfe zu bitten, wäre für sie ein Zeichen der Schwäche.
»Margaret wollte es richtig machen und brachte das Kind zum Jugendamt. Aber wie wir später erfuhren, rannte sie drei Mal aus Pflegeheimen weg. Margaret ließ sie von einigen Ärzten untersuchen, doch auch da lief sie weg. Als Margaret davon erfuhr«, er blies den Atem aus, »suchte sie nach ihr auf den Straßen. Die ersten Worte, die das Kind sagte, waren >Lass nicht zu, dass sie mir wehtun<.« Seine Stimme brach, und Ramseys Herz empfand Mitleid mit dem verängstigten, kleinen Mädchen. »Margaret wollte sie nicht zurückgeben, als ihr klar war, dass man sich nicht richtig um sie kümmerte.«
»Lebte sie lange mit Meggie zusammen?«
»Einige Jahre. Sogar dann noch, als Tess auftauchte.« Hank lachte traurig vor sich hin. »Tess zog irgendwie ganz ohne Einladung ein. Mein Gott«, er schüttelte den Kopf. Bei den schönen Erinnerungen trat ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht. »Sie war immer
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