Der Fremde aus dem Meer
tiefgrünes Kleid gehüllt. Sanfte Wellen und der vom Meer her aufsteigende Nebel wirbelten um ihre nackten Füße. Weißer Sand überzog den Saum ihres Kleides, und ein feines Paar grüner Schuhe hing von ihren Fingerspitzen herunter, als sei es ihr gleichgültig, ob sie sie während ihres Spaziergangs verlöre. Er fasste ihr Gesicht schärfer ins Auge. Der Gesichtsausdruck wirkte verloren, doch auch bereit, eine Herausforderung anzunehmen.
Er warf einen kurzen Blick auf das Zeitungsfoto und verglich es mit dem Bildnis.
Die Ähnlichkeit war geradezu unheimlich. Ihre Kraft und Sinnlichkeit waren mit jedem Pinselstrich liebevoll auf die Leinwand gebannt. Regungslos wie eine Wächterin stand sie da. Seit zweihundert Jahren.
13
Es war ein stattliches zweistöckiges Haus, das von Reichtum und Vornehmheit zeugte. Es hatte ein Giebeldach und erstreckte sich über einen ganzen Block. Auf der rechten Seite des Anwesens zog sich die mit einem Geländer umsäumte Veranda entlang, zur Linken befanden sich die Ställe. Hinter einem Tor war der Fuhrpark untergebracht. Doch was Ramsey zurückschrecken ließ, war die drei Meter hohe weiße Steinmauer, die um das Grundstück herumlief, mit den darauf eingelassenen lanzettförmigen Eisenstangen, die Besucher fern halten sollten. Ein richtiges Gefängnis, dachte er. Allein der Geruch und das Rauschen des Meeres hinter dem Haus milderten den düsteren Eindruck.
Als sie die Stufen zur Veranda emporstiegen, öffnete eine Frau die Tür. Penelope lief in ihre weit ausgebreiteten Arme, die sie fest umschlangen. Ramsey trat zurück und beobachtete die Zärtlichkeit zwischen den beiden Frauen und wie Penelope getröstet wurde. Plötzlich erinnerte er sich, dass sie ja in der Karibik nach ihrer vermissten Freundin gesucht hatte. Geteiltes Leid ist halbes Leid, dachte er, als sie sich umsah. Offensichtlich war es ihr unangenehm, dass er Zeuge der zärtlichen Szene geworden war. Dann gab sie ihm ein Zeichen, ihr zu folgen.
Ihm kam in den Sinn, dass die ältere Frau wahrscheinlich ihre Mutter war. Oder vielleicht die Haushälterin?
Sie trug eine gestärkte Schürze, auf der in Druckbuchstaben stand: Bin gerade nicht in meinem Körper, aber in fünf Minuten zurück.
»Ist Travis schon da?«, fragte Penelope, als sie das Haus betrat.
»Kam vor einer knappen halben Stunde.« Margaret wies mit dem Daumen in Richtung Wendeltreppe, während sie die Tür aufhielt. »Stellte einen Ständer mit Sachen und ein Dutzend Taschen und Kisten in dem grünen Zimmer ab. Dann ging er wieder.«
Sie ist die Haushälterin, entschied Ramsey.
»Hat Anthony angerufen?«, fragte Penny und stellte die Alarmanlage an.
Margaret schüttelte den Kopf, während sie Ramsey mit ihrem Blick fixierte.
Ramsey spähte über Penelopes Schulter und studierte genau die nummerierten Schalter. Ein schwarzer Streifen leuchtete glühend rot auf, zeigte ihre Wahl an, dann ging das Licht aus. Faszinierend!
Penny blickte zur Seite. Mein Gott, er sah aus, als würde er gleich umfallen. »Es ist eine Alarmanlage, und sie wird losgehen, wenn jemand hier eindringt.«
Ram runzelte die Stirn. »Losgehen? Fliegt sie in die Luft?«
Sie musste sich zwingen, nicht loszulachen. »Es macht nur laute Geräusche und zeigt der Polizei an, wenn jemand versucht einzubrechen.« Dass er Dinge nicht kannte, die sie für selbstverständlich hielt, hatte etwas Bezauberndes, und es machte ihr wirklich nichts aus, die Lehrerin zu spielen. Er nahm das Versprechen, das er Tony gegeben hatte, sehr ernst und gab sich besondere Mühe dabei, sie zu beschützen. Er überprüfte sogar die Schlösser am Tor und die umliegenden Grundstücke. Es war zwar nicht notwendig, aber Penny war gerührt. Sie hatte ihm keinen Grund gegeben, sich so besorgt zu verhalten.
Ram nickte, erfreut über die Erklärung. Sie schob eine Tafel über die Schalter, die sie den Blicken entzog. Klug, dachte er, und zusammen wandten sie sich zu der grauhaarigen Frau um, die in der Diele stand. Hank stapfte vorbei, mit Gepäck beladen, ohne sich die Mühe zu machen, etwas zu sagen, als er die Treppe hinaufging.
»Margaret O’Hallaran, das ist Mister Ramsey O’Keefe.« Penny warf ihre Handtasche auf den kleinen Tisch hinter Margaret. »Er wird für eine Weile bei uns wohnen.« Margaret, Gott segne sie, zeigte nicht die kleinste Spur von Überraschung. »Würdest du ihn in das grüne Zimmer führen, so dass er sich frisch machen und ausruhen kann?«
»Aber sicher.« Für ihn sind also
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